Das Kriegsgefangenenlager Chemnitz-Ebersdorf 1914–1921
Die Kunstsammlungen Chemnitz – Schloßbergmuseum zeigen vom 25. September bis zum
6. November 2016 eine Ausstellung über das Kriegsgefangenenlager Chemnitz-Ebersdorf im Rahmen der Gedenkveranstaltungen zum Ersten Weltkrieg in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Chemnitz. Die Ausstellung ist den Franzosen, Russen und Angehörigen der vielen verschiedenen Nationen des Zarenreiches und der französischen Kolonien gewidmet, die von 1914/1915 bis 1921 – drei Jahre nach Kriegsende – in der ehemaligen Artilleriekaserne im Chemnitzer Stadtteil Ebersdorf als Kriegsgefangene interniert waren.
In der Ausstellung kontrastieren offizielle zeitgenössische Fotografien über das Lagerleben, die im Auftrag der Stadt Chemnitz und der Militärverwaltung entstanden, mit originalen handgemalten Postkarten der Lagerinsassen. Sie ermöglichen einen differenzierten Blick auf die Realitäten des Kriegsgefangenenalltags, vor allem unter den Bedingungen der Hunger- und Seuchenkatastrophen des Jahres 1916. Ein Begleitprogramm mit Vorträgen und Konzerten ergänzt die Ausstellung.
Allein im Deutschen Kaiserreich gab es während des Ersten Weltkrieges 175 Kriegsgefangenenlager, in denen sich nach Stand vom Oktober 1918 insgesamt 2.526.922 Militär- und Zivilgefangene befanden. Eines dieser Kriegsgefangenenlager lag in Chemnitz-Ebersdorf. Ursprünglich Anfang 1914 als Kaserne geplant und gebaut, sollte darin das Feldartillerie-Regiment Nr. 68 aus Mittweida untergebracht werden. Allerdings führte der Kriegsausbruch dazu, dass das Regiment direkt an die Front zum Einsatz berufen wurde und die Kaserne niemals bezog. Bereits im Dezember 1914 kamen die ersten Kriegsgefangenen in das Lager. Es handelte sich zunächst um 60 Gefangene aus Russland, Frankreich und Belgien. Im Jahr 1918 waren in Chemnitz-Ebersdorf 7306 Franzosen, 10.941 Russen, acht Belgier, 174 Serben, 902 Italiener und 198 Zivilgefangene interniert. Zum Lager gehörten drei Familienhäuser, ein Gefangenenlazarett, zwei Mannschaftshäuser, ein Wirtschaftshaus, neun Gefangenengebäude, ein Heizungsraum, acht Abortbaracken, zwei Gefangenenküchen, eine Isolierbaracke für 500 Mann, ein Isolierlazarett, ein Waschraum für das Lazarett, ein Dampfkesselschuppen, ein Gefangenenwaschraum und eine Desinfektionsbaracke. Später kamen weitere Einrichtungen wie die Lagerkirche, eine Kantine mit Bierausschank, ein Kaufladen, verschiedene Werkstätten (Schmiede, Kunsthandwerk, Stellmacherei, Tischlerei), Proberäume für Theater- und Musikgruppen hinzu.
Die Bewachung des Kriegsgefangenenlagers Chemnitz-Ebersdorf übernahmen vorrangig höher betagte oder gesundheitlich eingeschränkte Soldaten. Kriegsgefangene genossen zwar den Schutz der internierenden Macht, konnten jedoch auch zu Arbeitsmaßnahmen gezwungen werden. 1915 wurden 900 russische Gefangene aus Schlesien in das Ebersdorfer Lager verlegt. Ihr Einsatz erfolgte in verschiedenen Einrichtungen der Stadt Chemnitz. Vorwiegend kamen sie in Industriefirmen unter, aber auch am Theater, in Handwerk und Gewerbe. Einige Kriegsgefangene mussten in Steinbrüchen ihre Zwangsarbeit verrichten. Ihr Stundenlohn betrug 6 Pfennige. Morgens um 5.30 Uhr rückten die Arbeitskommandos zu ihren Arbeitsorten aus. Fünf Stunden Arbeit waren als Pflicht zur Deckung der Aufwendungen für Unterkunft und Kost angesetzt, erst für jede weitere Stunde gab es Lohn. Für die Bewirtschaftung des Lagers waren die Kriegsgefangenen selbst verantwortlich.
Angesichts der Erfahrungen späterer Jahrzehnte verblüfft die Vielfalt von Möglichkeiten, mit denen sich die Gefangenen in Chemnitz-Ebersdorf vom Alltag ablenken und den Versuch einer friedlichen Alltagsnormalität unternehmen konnten. Es gab im Lager mehrere Orchester und eine Theatergruppe. Die Insassen konnten zudem Sport treiben. Dennoch führten Zwangsarbeit, schlechte hygienische Verhältnisse und mangelnde Verpflegung der Gefangenen mit fortschreitender Dauer des Krieges zu chronischer Unterernährung und Krankheiten.
Die letzten Kriegsgefangenen, die zurück in ihre Heimat überstellt wurden, waren Soldaten des ehemaligen Russischen Zarenreiches. Bedingt durch die Oktoberrevolution und die Ereignisse in ihrem Gefolge, erfolgte die Rückführung der russischen Soldaten erst im Jahr 1921, indem das Lager dann endgültig geschlossen wurde.