Expressionismus: Die Brücke

Erich Heckel (1883–1970)

Knabe in der Tram, 1912

Wer ist der Knabe in der Tram, der bereits 2016 in der Erich Heckel-Ausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz zu Gast war und seither auch das dazugehörige Cover des Ausstellungskataloges schmückt? Ursprünglich war die Figur als „Knabe“ jüdischer Herkunft in einem Moment großstädtischer Verlorenheit gelesen worden. Möglicherweise ist aber der jüngere Bruder von Sidi Reha, der späteren Frau von Heckel, portraitiert. Der Knabe in der Tram wirkt theatralisch, als sei er für einen Auftritt geschminkt.

Die Komposition wurde von Heckel stark verändert und auch konservatorisch bearbeitet. Eine ausführliche Untersuchung und Analyse zum Zustand erfolgte vom Restaurator unseres Hauses 2015. Das Bild aus Privatbesitz steht nun zum Kauf. Es sucht Förderer und Mäzene, um als Erwerbung in den Kunstsammlungen Chemnitz zu verbleiben.

 

Erich Heckel (1883–1970)    

Flusslandschaft mit Brücke und Zug, 1905

Üppig-weiße Rauchschwaden der Lokomotive hinterlassen eine Wolkenspur am Himmel. Der Blick des Malers ist Richtung Südosten auf die Dresdner Marienbrücke gerichtet. Eine realistische, gar detailgetreue Darstellung interessiert ihn nicht. Vielmehr ist seine Stadtansicht Plädoyer für eine freie malerische Übersetzung eines flüchtigen Moments; noch ganz im Sinne der Impressionisten. Am 7. Juni 1905 gründeten Erich Heckel, Karl Schmidt-Rottluff, Fritz Bleyl und Ernst Ludwig Kirchner die Künstlergruppe „Die Brücke“. Vor diesem Hintergrund erhält das Brücken-Motiv des ehemaligen Chemnitzer Abiturienten Erich Heckel fast programmatischen Charakter.

 

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Porträt Karl Schmidt-Rottluff (Umschlag der IV. Jahresmappe der Künstlergruppe Brücke), 1909

Von 1906 bis 1911 gab die Künstlergruppe Brücke für ihre passiven Mitglieder Jahresgaben mit originaler Kunst heraus. Die IV. Jahresmappe war Karl Schmidt-Rottluff gewidmet, der für diese zwei Lithografien und eine Radierung beisteuerte. Ernst Ludwig Kirchner gestaltete den Umschlag für den Künstlerfreund. Er schuf einen Holzschnitt in Rot mit dem Porträt von Schmidt-Rottluff. Neben dem Kopf sind übereinander exemplarisch Darstellungen der drei großen Hauptthemen der Kunst der Gruppe zu sehen: Landschaft, Porträt und Akt.

 

Max Pechstein (1881–1955)

Fischerkopf X, 1911

Der Holzschnitt von Max Pechstein gehört zu den über 700 grafischen Blättern, die im Rahmen der Aktion „Entarte Kunst“ am 19. August 1937 in den Kunstsammlungen Chemnitz beschlagnahmt wurden. Wenige dieser Werke, wie zum Beispiel der Fischerkopf, kamen später wieder zurück in das Museum. Im März 1947 wurden im Auftrag der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone beschlagnahmte Werke „entarteter Kunst“ aus dem Nachlass des Kunsthändlers Bernhard A. Böhmer in Güstrow sichergestellt und dem Museum der Stadt Rostock übergeben. Zu diesen zählten auch Werke Chemnitzer Provenienz. 1957 wurden aus Rostock 48 druckgrafische Blätter und ein Gemälde an die Kunstsammlungen zurückgegeben.

 

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)      

Besuch, 1910

Das Bild gehört zu den frühen Interieurdarstellungen des Künstlers. Zu sehen sind zwei sitzende Frauen, die nicht als Individuen gezeichnet werden; auch wenn sie aus dem persönlichen Umfeld stammen. Das belegt eine ähnliche Postkarte aus Dangast. Daher handelt es sich bei der Dargestellten wohl um die jüngere Schwester Gertrud Schmidt. Das jüngere Mädchen könnte die damals fünfzehnjährige Ferienbekanntschaft Elle Kohlsted (aus Berlin) sein. Von besonderer Bedeutung ist der Schmuckrahmen des Bildes. Für die bis 1912 in Dangast entstandenen Werke fügte der ortsansässige Tischler Wilhelm Voge die Rahmenleisten. Schmidt-Rottluff selbst schnitt das abstrakte Dekor und nahm die Farbfassung vor.

 

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)              

Haus am Augustmittag, 1905

Schmidt-Rottluff war nach dem in Chemnitz abgelegten Abitur im April 1905 nach Dresden gegangen, um Architektur zu studieren. Das Bild entstand im Sommer und zeigt das nahe bei der elterlichen Mühle gelegene, neue, zweistöckige Mietwohnhaus der Familie. Die Malweise ist noch weit entfernt von dem, was wir heute als expressionistischen Brücke-Stil bezeichnen. Auch das auf den Malstil einflussreich einwirkende Erlebnis von van Gogh-Bildern im November des Jahres steht noch aus. Vom Selbstbewusstsein des jungen Brücke-Künstlers spricht die Signatur. Der einfache Name “Schmidt” reicht nicht mehr aus zur Distinktion. Erstmals ist der Zusatz “Rottluff” als Kürzel angefügt.

 

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)

Akt, 1909

Der Frauenakt hat eine ausgesprochen malerische Wirkung. Deutlich macht sich der Einfluss von Edvard Munch (1863–1944) bemerkbar. Bereits 1906 hatten die Maler der Brücke erstmalig die Gelegenheit, Gemälde des Norwegers im Sächsischen Kunstverein in Dresden zu sehen. Von entscheidender Bedeutung war die Begegnung mit Munchs Druckgrafiken, die Schmidt-Rottluff 1907 in der Hamburger Sammlung des Landgerichtsdirektors Gustav Schiefler (1857–1935) studieren konnte und deren Formensprache und Ausdruck er außerordentlich schätzte.

 

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)

Villa mit Turm, 1911

Schmidt-Rottluff hatte mit dem Holzschnitt ein Medium gefunden, dass seine Vorstellungen von Ursprünglichkeit und ausdrucksvoller einfacher Form erfüllte. Das Holz wurde zum Experimentierfeld für Schwarz-Weiß-Kontraste ohne erkennbare Licht- und Schattenmodellierung. Sichtbare natürliche Holzmaserungen wurden ebenso in die Gestaltung einbezogen wie die Spuren der Bearbeitung mit den Werkzeugen. Villa mit Turm zeigt das Wohnhaus der Familie Wobick in Dangast. Die Bäume links und rechts der Villa sind zu Flächen zusammengefasst, und der Turm dominiert als zeichenhaftes, pfeilartiges Gebilde das Blatt.