Kunst in der DDR

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Rüdiger Philipp Bruhn (1955–2018)

Erwarteter Angriff, 1994 / Expected Assault, 1994

Rüdiger Philipp Bruhn lebte seit 1984 als freischaffender Künstler in Chemnitz. Nach seinem Tod hatten die Kunstsammlungen Chemnitz die Möglichkeit, aus dem Nachlass eine Auswahl von Arbeiten auf Papier zu treffen. 17 Zeichnungen und Collagen bereichern nun den Bestand der Grafischen Sammlung. Bruhns experimentelles Werk thematisiert individuelle Seinserfahrungen. Schicht um Schicht bauen sich seine collagierten Zeichnungen auf. Hauchdünne Seidenpapiere werden gerissen, zerknittert, beschnitten, neu zusammengesetzt und mit Symbolen, Zeichen, oder Buchstaben übermalt. So entstehen konzentrierte abstrakte Kompositionen voller Poesie, die wie Meditationstafeln wirken.

 

Uwe Bullmann (1945–2016)

Meine Familie, 1977/1979

Wir sind normalerweise nicht so. Ganz und gar nicht.

Sitzen kaum gemeinsam auf einem Fleck.

Oft geht es drunter und drüber.

Auch weil unser Kind uns davon abhält, uns genug um uns selbst zu kümmern und unseren Interessen nachzugehen.

Aber das ist nicht schlimm.

Wir sind zufrieden. Können uns nicht beklagen.

Wir sind zu zweit. Haben die Chance uns gegenseitig zu unterstützen.

Jedoch gefällt es mir nicht, als perfekte Familie dargestellt zu werden.

Zu endgültig und eindeutig wirkt es doch. Zu starr.

Wo sind unsere Makel? Wo unsere Lebhaftigkeit?

Der Blick von außen: Hannah, 19, Freiwillige FSJ Kultur

 

Carlfriedrich Claus (1930–1998)

Psycho-Allegorie, 1963

Carlfriedrich Claus widmete das Blatt Psycho-Allegorie seinen Erinnerungen an die Freundschaft mit einer Schauspielerin vom Annaberger Theater – nicht der Künstlerin selbst, auch nicht der verflossenen Freundschaft mit ihr. Das ist wie ein doppelter Abstand, den er zwischen sich und das Gewesene schiebt und der die Möglichkeit der Reflektion schafft. Die beidseitig auf Transparentpapier aufgebrachten schwarzen und roten Tuschespuren verdichten sich zu zwei Paar Augen und einer langfingrigen Hand. Sie scheinen in einem Dialog zu stehen, der zwischen Vorder- und Rückseite, zwischen Spiegelschrift und konventioneller Schrift fortgeführt wird.

 

Clara Mosch

Die 1977 in Karl-Marx-Stadt gegründete Produzentengalerie Clara Mosch wurde einer der wichtigsten Orte des alternativen Kunstschaffens in der DDR. Die Künstlergruppe, bestehend aus Carlfriedrich Claus, Thomas Ranft, Dagmar Ranft-Schinke, Michael Morgner und Gregor-Torsten Schade (seit 1980 Kozik) sind durch ihre spektakulären Kunstaktionen bekannt geworden und haben in der DDR-Zeit einen Ruf als „unangepasste Künstler“ bekommen. Bei den Aktionen handelte es sich um spontane oder geplante Aktivitäten, die vor allem im Rahmen von sogenannten Plenairs in der freien Natur stattfanden. Ihre Aktionen waren spektakulär, provokativ und unkonventionell.

Alle Mitglieder der ehemaligen Künstlergruppe sind mit Werken in der Ausstellung vertreten. Zum Teil sind diese erst nach ihrer Auflösung 1982 entstanden.

Der Blick von außen: Maria Cuptior, 27, Spezialistin für Marketingkommunikation

 

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Karl Clauss Dietel (*1934), Lutz Rudolph (1936–2011)

Modell PKW, 1971/1972

Karl Clauss Dietel und Lutz Rudolph entwarfen 1971/72 im Auftrag des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt die Studie für diesen Kleinwagen. Das Konzeptauto ging nicht in Produktion und ist hier im Modell zu sehen. Der Kleinwagen zeichnet sich durch zahlreiche moderne Details aus: große Fenster, ausklappbare Frontscheinwerfer, langer Radstand und geräumiger Innenraum. Um diesen größtmöglich nutzbar zu machen und die Verkehrsfläche klein zu halten, wurden die Räder des Autos in die Ecken gesetzt. Die Ähnlichkeiten zum zwanzig Jahre später produzierten Renault Twingo sind offenkundig.

 

Otto Müller-Eibenstock (1898–1986)

Erzgebirgische Häuser, um 1948

Ich kehre zurück.

Zurück in eine Welt, die ich als meine Heimat bezeichne.

Doch etwas ist anders.

Nein.

Etwas fühlt sich zu gewohnt an.

Zu überholt.

Ich ertappe mich dabei, in die Rolle eines früheren Ichs zu schlüpfen.

Dabei sollte mein Umzug in eine andere Stadt doch genau das Gegenteil bewirken.

Dort fühlte ich mich endlich befreit von all dem, was mich in meiner Heimat davon abhielt, mich weiterzuentwickeln.

Ich erfand mich selbst neu.

Langsam wuchs eine neue, verbesserte Version meiner Selbst heran.

Dachte ich zumindest.

Wann beschließe ich, alt durch neu endgültig zu ersetzen?

Was hält mich davon eigentlich ab?

Der Blick von außen: Hannah, 19, Freiwillige FSJ Kultur

 

Klaus Hähner-Springmühl (1950–2006)

Richtfest 1, 1984

Klaus Hähner-Springmühl war in den 1980er Jahren einer der schillerndsten Akteure in der Karl-Marx-Städter Kunstszene. Er führte sein Leben als Kunstprozess, manifestiert durch schräge Aktionen, radikale Fotoübermalungen und expressive Gemälde. Sein Atelier in der Richterstraße 9 war ein Ort für Happenings, Gespräche und musikalische Improvisationen. Davor, danach oder dazwischen ist vielleicht das hier gezeigte Bild entstanden: entsprungen aus der Situation des Lebens, in der Ekstase des Machens, als ein Zeichen der puren Existenz.

Der Blick von außen: Frank Weinhold, 41, Informatiker

 

Matthias Hoch (*1958)

Altenburg I, 1988

Unterquer

Wo Anfang gleich Ende und Ausgang auch Eingang sein kann, hat man die Wahl, sich an den durch verdreckte Leuchtstoffröhren vorgegebenen Weg zu halten oder aber unkontrolliert schwankend von der einen kalten Wand zur gegenüberliegenden zu stolpern, um mit zitternden Händen nach so etwas wie Orientierung suchend den zwar eingegrenzten Raum trotzdem komplett zu nutzen.

Der Blick von außen: Kilian Buchmann, 19, Student

 

Bernhard Kretzschmar (1889–1972)

Selbstbildnis mit Masken, 1954

Zur eigenen Identität zu stehen ist, ein menschlicher Grundkonflikt, welchen ich in Bernhard Kretzschmars Selbstbildnis wiedererkennen konnte. Er bildet sich mit detailliert bemalten Masken ab. Zum einen symbolisieren sie womöglich sein künstlerisches Schaffen und seine Kreativität, zum anderen bilden sie eine Metapher für künstlich inszenierte Versionen von uns selbst und werden perfektionistisch zurechtgeformt. Parallel dazu wirken die aufrechte Haltung des Künstlers selbstbewusst und seine Mimik skeptisch. Es deutet darauf hin, dass er ein kritisch denkender, meinungsstarker Mensch war.

Der Blick von außen: Angelina Kärcher, 17, Dr.-Wilhelm-André-Gymnasiums, Chemnitz

 

Wolfgang Mattheuer (1927–2004)

Seltsamer Zwischenfall, 1980

Wolfgang Mattheuer, Mitbegründer der Leipziger Schule, verwendet häufig antike Mythen und biblische Geschichten, verschränkt deren tiefe Bedeutungsebenen mit der Alltagswelt. So auch immer wieder die Ikarus-Sage. Eine rückwärts abfallende Linie teilt das Blatt in zwei Welten. Vorn Ikarus, der zur Sonne wollte, ist abgestürzt und liegt da wie der Gekreuzigte. Er wird sensationslüstern von den Reisenden des Ikarus-Busses, des damals allgegenwärtigen Busmodells, wahrgenommen. Seltsam. Die Blicke und der gebrochene Flügel reichen über die imaginäre Grenze. Dank der Schenkung Hartmut Kochs besitzen die Kunstsammlungen das vollständige druckgrafische Werk von Wolfgang Mattheuer.

Der Blick von außen: Astrid

 

Osmar Osten (*1959)

Caspar Brown, 2003

Sinnstiftend

Wird einmal mehr die Aufmerksamkeit der Sinne fokussiert auf die Unendlichkeit des Horizonts, wo sich triefend graues Blau zu oft so unerträglich schön mit zurückhaltendem Rosa mischt, um die unveränderbaren Grenzen zwischen der Erde, auf der wir gehen und dem Himmel, von dem wir nie ein Teil sein werden, zu verwischen, verdunkelt sich das Gemüt angesichts der Frage nach der unmöglichen Erfahrbarkeit eines täglichen Erlebens und lässt lediglich verkrampft die Hoffnung, dass dieser Gedanke schwerelos vorüberzieht wie entschleunigt stürmendes Gewitter androhende Wolkenmassen.

Der Blick von außen: Kilian Buchman, 19, Student

 

Auguste Rodin (1840–1917)

Aufgerichtete Hand, nach 1900 / Guss 1913 / Raised Hand, after 1900 / Cast 1913

Rodin brach mit erstarrten, idealisierenden Traditionen der Bildhauerei und bereitete der Moderne den Weg. Er studierte und bewunderte die Skulpturen Michelangelos und des Phidias. Während nackte Frauen und Männer durch sein Atelier liefen, modellierte er Bewegungen mit enormer Ausdruckskraft, oft nur Fragmente des menschlichen Körpers, inspiriert von antiken Skulpturen, denen Kopf und andere Körperteile fehlen. In einem Teil steckt die Fülle des Ganzen. Die ausgestellte Hand zeigt die extreme Emotion eines individuellen Charakters. Der Atem stockt, versucht man sich in das Modell hineinzuversetzen.

Der Blick von außen: Astrid

Mit dieser Plastik hat sich der in Chemnitz aufgewachsene Künstler Carsten Nicolai in einer Serie von 12 Holzschnitten auseinandergesetzt. Zwei Blätter aus der Reihe, die der Künstler 1993 den Kunstsammlungen geschenkt hat, sind neben Rodins Aufgerichteter Hand zu sehen.

 

Will Schestak (1918–2012)

Bildnis Martha Schrag, 1952

Will Schestak porträtierte die Malerin und Grafikerin Martha Schrag im Alter von 82 Jahren. Zwei Jahre zuvor war sie als Achtzigjährige zur Ehrenbürgerin der Stadt Chemnitz ernannt worden. Eine Ehrenrente ermöglichte ihr, Grafiken befreundeter Künstler zu erwerben, um diese zu unterstützen. Die Werke übergab sie dem Museum als Schenkung. Auf diese Weise gelangten zum Beispiel Blätter von Elisabeth Ahnert und Heinz Tetzner in die Sammlung. Martha Schrag war mit dem Juristen und Sammler Dr. Helmut Brückner befreundet. Aus seinem Nachlass kam die Zeichnung 1977 in den Besitz der Grafischen Sammlung. Ebenfalls befreundet war der Sammler mit Will Schestak, der für ihn auch bei Gerichtsprozessen gezeichnet hat.

 

Peter Schettler (*1944)

Am Opernhaus, 1980

„Ich möchte aufmerksam machen auf das Schöne und Interessante in der Natur, das Eigenartige und Poesievolle, das Charakteristische und Besondere – sei es eine Landschaft, eine Architektur, ein Stilleben oder ein Interieur.“, so beschrieb Peter Schettler 1983 seine Kunst.

Der seit 1970 als freischaffender Künstler in Chemnitz arbeitende Maler hat mit seinen Chemnitzer Motiven auch die Veränderung des Stadtbildes dokumentiert. Das ausgestellte Gemälde gibt die alte Wohnbebauung hinter dem Opernhaus wieder. Bis zur Errichtung des neuen technischen Gebäudes am Opernhaus und den dahinter aufragenden Wohnblöcken befanden sich zwischen Bismarckstraße, Brühl und Schillerplatz noch Häuserzeilen mit Altbauten.

 

                                   

   

Christine Stephan-Brosch (*1939)

Künstlerporträts, 1963–1976

Christine Stephan-Brosch studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig Fotografie. 1989 haben die Kunstsammlungen Chemnitz eine Reihe von Künstlerporträts der Fotografin erworben. Darunter befindet sich eine Fotoserie des Dresdner Malers und Grafikers Wilhelm Rudolph in seinem 75. Lebensjahr. Ihre Künstlerporträts aus den 70er Jahren zeichnen ein lebendiges und authentisches Bild der regionalen Karl-Marx-Städter Kunstszene. Die Künstlerin beschreibt 1989 ihre Intentionen: “Ich verabscheue in der Fotografie das bewusst Hässliche, das gesucht Witzige, das drapierte Schöne und Hübsche, das Obszöne. Ich suche das Wahre und Natürliche und darin gibt es nichts Hässliches und Grässliches, es gibt nur Bilder, die einem mehr oder weniger betroffen machen oder mehr oder weniger ansprechen.“

 

Heinz Tetzner (1920–2007)

Sitzender Junge, 1952

Das Porträt des Jungen ist in einer großen Nahsicht wiedergegeben, sein Körper spannt sich von Bildkante zu Bildkante. Er trägt eine Hose mit Trägern und ein blaues Hemd, der Bildraum ist nicht lokalisierbar. Tetzner lässt den Körper des Jungen an den Knien enden; diese wirken expressionistisch verzerrt. Er porträtiert ihn in einer angespannten Körperhaltung, nicht in seiner kindlichen Leichtigkeit. Still, in Gedanken versunken, schaut er nach unten. Der Künstler hat die Farbe schnell und dünn aufgetragen, so dass an manch einer Stelle die Leinwand noch durchschimmert.

 

Axel Wunsch (*1941)

Marthas Wäsche, 1977

Axel Wunsch studierte von 1963 bis 1968 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und arbeitet seitdem als freischaffender Künstler in Chemnitz. In Marthas Wäsche greift er eine Szene aus dem Alltag auf, das Trocknen von Wäsche im Freien. Still gehen die Frauen ihrer Arbeit nach, bewegen sich im Einklang mit den im Wind wehenden weißen Stoffbahnen. Die transparenten, vom einfallenden Licht farblich fein nuancierten Flächen erzeugen eine harmonische, fast sinnliche Vorstellung von Wärme, leichtem Wind und dem Duft frisch gewaschener Wäsche.

 

Lothar Zitzmann (1924–1977)

Lampionumzug, 1967 / Lampion Parade, 1967

Lothar Zitzmann wurde 1953 als Dozent an die Burg Giebichenstein nach Halle berufen und leitete dort von 1970 bis 1976 die Sektion „Wissenschaftliche und künstlerische Grundlagen des Gestaltens“. Charakteristische Merkmale seiner geschlossen wirkenden Kompositionen sind die Tendenz zu starker Vereinfachung, die Reduzierung auf Grundformen und die plastische Modellierung der Körper. Die Figuren in diesem Bild füllen den gesamten Bildraum. Scheinbar beim Lampionumzug durch das Laufen bewegt, ist eine plötzliche Erstarrung zu spüren, die sich auch auf die Gesichter der Kinder gelegt hat. Diese Art der Darstellung von Bewegung, die für einen Moment angehalten scheint, findet sich in fast allen Werken des Künstlers.