Der Fotograf Hans Günter Flieg ist im Alter von 101 Jahren in Brasilien gestorben. Die Stadt Chemnitz und die Kunstsammlungen trauern um den jüdischen Chemnitzer, der in der Zeit des Nationalsozialismus aus der Stadt fliehen musste.
Hans Günter Flieg musste als 16-Jähriger zusammen mit Bruder und Eltern das nationalsozialistische Deutschland verlassen. Die Familie emigrierte nach Brasilien. Zuvor hatte Flieg einen mehrmonatigen Fotografiekurs bei Grete Kaplus, der Fotografin des Jüdischen Museums in Berlin, belegt. Mit nach Brasilien nahm Hans Günter Flieg u.a. eine Leica-Ausrüstung, eine Linhof-Kamera und das Buch Meine Erfahrungen mit der Leica von Paul Wolff.
In São Paulo angekommen, setzte Hans Günter Flieg seine Ausbildung als Fotograf fort. Er machte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs selbstständig und wurde zu einem sehr angesehenen Dokumentarfotografen Brasiliens. Er arbeitete in einer Zeit, als die Fotografie noch die Aufgabe hatte, Dokumentation aller Lebensbereiche und ein öffentliches Forum der Berichterstattung zu sein. Ein Hinweis auf die Wertschätzung, die seinem Werk dabei in Brasilien zuerkannt wird, gibt, dass das angesehene brasilianische Instituto Moreira Salles im Jahr 2006 das gesamte Foto-Archiv von Hans Günter Flieg erwarb.
Oberbürgermeister der Stadt Chemnitz, Sven Schulze, sagt: »Lange Zeit hatte Hans Günter Flieg nur persönliche Verbindungen nach Deutschland durch gelegentliche Telefonate mit seinem 2001 verstorbenen Cousin, dem Schriftsteller und Ehrenbürger der Stadt Chemnitz, Stefan Heym. Im Jahr 2008 waren in den Kunstsammlungen Chemnitz 120 Werke von Hans Günter Flieg erstmals in Europa zu sehen, die zwischen 1940 und 1970 in Brasilien entstanden sind. Aus Anlass dieser Ausstellung folgte Flieg der Einladung von Chemnitz und besuchte nach fast 70 Jahren seine Geburtsstadt. Es war für ihn eine emotionale Rückkehr.
Hans Günter Flieg hat den Holocaust, hat den Zweiten Weltkrieg überlebt. Sein Tod ist uns eine Erinnerung, dass wir uns in einer Zeit bewegen, in der die letzten Augenzeugen der Nazi-Zeit weniger werden. Umso wichtiger wird es, an die Gräueltaten des Nazi-Regimes zu erinnern und zu mahnen, damit sie sich niemals wiederholen.«
Hans Günter Flieg hatte ein wahrhaft fotografisches Gedächtnis. Viele Straßen und Gebäude der Stadt Chemnitz, in der er im Jahr 1923 als Sohn einer angesehenen jüdischen Familie geboren wurde, waren ihm immer noch gegenwärtig als er 2008 die Stadt besuchte. Gleichwohl sind diese fotografisch genauen Gedächtnisbilder mit schmerzhaften Erinnerungen verbunden.
»Uns ist es ein Anliegen, an das jüdischen Leben in der Stadt durch Programme in den Kunstsammlungen Chemnitz zu würdigen. Für das Jahr der jüdischen Kultur in Sachsen 2026 planen wir Veranstaltungen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbinden.« sagt die Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz, Dr. Florence Thurmes.