Neu in der Sammlung
Erich Heckel, »Stehende«, 1920
Anlässlich der spektakulären Erwerbungen aus der Sammlung Hermann Gerlinger zeigen die Kunstsammlungen Chemnitz eine kleine Auswahl aus dem eigenen Bestand, die mit Chemnitz, dem Akt und dem Material Holz im Werk des expressionistischen Künstlers Erich Heckel in Verbindung stehen. Erich Heckel gehört zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Klassischen Moderne. Er ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Künstlergruppe Brücke und übt großen Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Expressionismus aus.Vor 140 Jahren in Döbeln geboren, ist Heckel eng mit Sachsen und Chemnitz verbunden. Sein Vater ist ein angesehener Ingenieur bei den Königlich Sächsischen Staatseisenbahnen. Bedingt durch verschiedene Bauaufträge, zieht die Familie häufig um und ist ab 1897 in Chemnitz wohnhaft. Heckel selbst besucht ab 1894 mit Unterbrechungen das Chemnitzer Realgymnasium. Für seine persönliche künstlerische Entwicklung und sein ganzes Leben sind aber vor allem die außerschulischen Aktivitäten und Kontakte in Chemnitz von Bedeutung.
Die Überzeugung, dass das gesamte Leben künstlerisch gestaltet werden muss, bringt die Brücke-Künstler zur Holzskulptur. Anfangs werden ganz einfache Dinge künstlerisch gestaltet, Schalen, Bänke oder Regalstützen. Dabei kommt, nicht überraschend, der weiblichen Figur eine zentrale Rolle zu. Neben Landschaften ist der Akt das am stärksten verbreitete Motiv. Bereits in der frühen Brücke-Zeit entstehen sogenannte Viertelstunden-Akte: In 15 Minuten muss spontan das Wesentliche und Ausdrucksstarke des weiblichen Körpers in der Zeichnung herausarbeitet werden. Heckel ist der erste Brücke-Künstler, der seit Ende 1906 vollplastisch Akte in Holz schnitzt. Kirchner wird diese Arbeit ab 1909 in Anzahl und Expressivität noch weitertreiben, aber auch von Schmidt-Rottluff gibt es kleinere Bildwerke in Holz ab 1911. »Kirchner brachte den Holzschnitt aus Süddeutschland mit, den er, durch die alten Schnitte in Nürnberg angeregt, wieder aufgenommen hatte«, vermerkt Kirchner 1913 in der Chronik mit Verweis auf Dürer. Er schreibt Heckel dann aber die Einführung der Skulptur zu: »Heckel schnitzte wieder Holzfiguren; Kirchner bereicherte diese Technik in den seinen durch die Bemalung.«
Stimuliert auch durch die Kenntnis der außereuropäischen Kunst, zwang die Arbeit in Holz die Künstler auf der Suche nach der größtmöglichen Ursprünglichkeit zu einer Konzentration auf das Wesentliche und die Abstraktion der Form. Die Stehende markiert heute einen vorläufigen Endpunkt von Heckels Auseinandersetzung mit dem Material Holz, die entscheidend zur Entwicklung eines ›kantigen‹ expressionistischen Stils beigetragen hat; sie ist die jüngste und letzte der sieben noch existierenden Holzskulpturen von Heckel. Entstanden zu Beginn der 1920er Jahre in der Flensburger Förde in Osterholz an der Ostsee – wo der Künstler seit 1913 regelmäßig arbeitet, um in der Natur zu sein –, ist es auch die einzige erhaltene Holzskulptur Heckels der Zwischenkriegszeit.
Die Stehende zeigt einen weiblichen Akt, vermutlich inspiriert von Heckels Frau Siddi, der aus einen hellem Pappelholzstamm herausgearbeitet worden ist. Das Gesicht ist ausdrucksstark; in den blockhaften Volumina sind Augen, Nase und Lippen leicht exotisierend überzeichnet. Die Augen scheinen geschlossen, die Hand nachdenklich an das Kinn gelehnt. Der Körper ist leicht gotisierend gestreckt, in einer sanften Drehung, die die Körperlichkeit und Räumlichkeit unterstreicht, ohne dass aber eine erotische Konnotation des weiblichen Körpers hier im Vordergrund stünde.
Mehrfach zitiert der Künstler die Skulptur auch in Malereien und Aquarellen, was die besondere Bedeutung des Werks für ihn unterstreicht. Zugleich zeigt sie in ihrer formalen Eleganz seinen persönlichen stilistischen Wandel weg vom groben Expressionismus der Brücke-Zeit. Die Stehende ist ein herausragendes Werk im Schaffen Heckels und für Chemnitz, Sachsen und Deutschland von größter Bedeutung und internationaler Anerkennung.