Chemnitz Open Space
27. Sep 2021 – 30. Sep 2021

Hinterm Nischel

SUSI POP, Selfies (serie), 2021, 22 Siebdrucke auf Leinwand, je 150 x 90 cm

Hinterm Nischel

Unmittelbar nach der Bundestagswahl zeigen die Kunstsammlungen Chemnitz im Chemnitz Open Space die von Kasper König und Annabell Burger kuratierte Ausstellung Hinterm Nischel. Die Veranstaltung ist als konzertierte Pop-up Ausstellung gedacht. Vier Tage lang werden im Schauraum in der »Parteisäge« hinter dem monumentalen Karl-Marx-Kopf sieben künstlerische Positionen präsentiert: Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová, Laura Horelli, Osmar Osten, Anna Steinherz, Hito Steyerl, SUSI POP und Joerg Waehner.

Öffnungszeiten: 12-20 Uhr
Eintritt frei

Eröffnung: 27.9.2021, 18:30 Uhr

Hito Steyerl (* 1966 in München, lebt in Berlin)
Hito Steyerls Film Die leere Mitte (1998) verknüpft in einer vielschichtigen Collage aus Found Footage und selbst gedrehten Sequenzen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Terrains um den Potsdamer Platz in Berlin. Ihre filmische Ortslektüre fokussiert auf einen Schauplatz inmitten der einstigen und neuen Hauptstadt, der nach der Wiedervereinigung eine rasante Transformation erfuhr. Wo über Jahrzehnte Niemandsland war, steht heute das Sony Center als Zeichen eines privatisierten städtischen Raums. Anhand exemplarischer Ereignisse und Protagonist:innen aus zwei Jahrhunderten beleuchtet Steyerl, wie sich Machtverhältnisse in Raumordnung, Architektur und immer wieder neuen Grenzziehungen materialisieren. Ihr Filmessay, der eine entschiedene Skepsis gegenüber der Fortschrittseuphorie der Nachwendezeit artikuliert, legt Kontinuitäten von Ausgrenzung, Rassismus und Nationalismus offen, die von der Kolonialzeit bis in die Gegenwart reichen. Dabei verleiht er jenen eine Stimme, die von den offiziellen Erzählungen häufig ausgeschlossen wurden.

SUSI POP (* in Berlin, lebt in Berlin)
SUSI POP ist weder Künstler noch Künstlerin, weder ein Zusammenschluss von Akteur:innen, noch ein Pseudonym. Der eingängige Name entzieht sich jeglicher Zuordnung und ist vielmehr als eine Art Konzept oder Marke zu begreifen. Selfies, ein über 20m langer magentafarbener Siebdruck-Fries, zeigt verschiedene Personen, die sich mit ihren Handykameras in Gesellschaft einer lächelnden, entspannt wirkenden Bundeskanzlerin ablichten. Dabei handelte es sich vielfach um geflüchtete Menschen, die im Herbst 2015 Deutschland erreichten. Die im Zuge von Angela Merkels Willkommenskultur entstandenen Schnappschüsse gingen, begleitet von ihrem legendären Satz »Wir schaffen das«, um die Welt. Sie wurden zu ikonischen Sinnbildern
für eine Politik der Solidarität und Humanität, die in Teilen der Bevölkerung jedoch auch auf Widerstand stieß. Mit Selfies schaffen SUSI POP ein fragmentarisches Epochenbild,
in dem sich die erste langjährige Kanzlerinnenschaft, die explosionsartige Entwicklung sozialer Medien und die Dokumentation der Migrationsereignisse 2015 verdichten.

Anetta Mona Chişa (* 1975 in Nădlac, RO, lebt in Prag, SZ) und Lucia Tkáčová (* 1977 in Banská Štiavnica, SK, lebt in Vyhne, SK)
Die beiden Künstlerinnen zeigen Skizzen und ein Tonmodell ihrer Außenskulptur Der Darm, die sich seit 2020 durch den nahegelegenen Schillerpark schlängelt und zum Betreten einlädt. In denselben Proportionen wie Lev Kerbels monumentales Karl Marx-Denkmal von 1971 gefertigt, fungiert die überlebensgroße Skulptur als dessen Ergänzung. Den idealisierten, stark selektiven Darstellungsweisen von Heldenfiguren im öffentlichen Raum stellt sie ein lange tabuisiertes Körperteil zur Seite. So lenkt sie den Blick von der Dominanz des Kopfes als Ort des Bewusstseins hin zu einem nicht nur für den Stoffwechsel zentralen Organ, das die neben dem Gehirn wichtigste Schaltzentrale des menschlichen Körpers darstellt. In ihrer Kritik an der Dualität und Hierarchisierung von Geist und Körper lädt sie auch dazu ein, über die Stadt als komplexen Organismus mit einer Vielzahl von Akteur:innen nachzudenken.

Anna Steinherz (* 1990 in Bielsko-Biala, PL, lebt in Leipzig)
Anna Steinherz gehört zu einer jungen Generation polnischer Künstler:innen. Ihre Arbeit umfasst Objekte, Bilder, Skulpturen und installative Werke. Steinherz greift in ihrer Formensprache oft auf alltägliche Gegenstände zurück, die sie durch Modifikation von Form, Materialität und Größe entkontextualisiert. Neben einem ironischen Gestus sind formale und inhaltliche Auseinandersetzungen mit dem Material wesentliche Aspekte ihrer Arbeit. In Future Primitive reflektiert die Künstlerin die im osteuropäischen Raum fortlaufende Transformation sozialistischer Strukturen in den neoliberalen Kapitalismus. Als Material für ihre zeitgenössische Erntekrone wählt Steinherz Getreide, das traditionell auf Wohlstand und Überfluss verweist, und formt es zu einem signethaften €-Zeichen. Die Arbeit After the Storm vereint die Fotografie eines beschädigten Plattenbaus mit dem skulpturalen Element eines Krans, an dem ein neues Fassadenstück verheißungsvoll herabschwebt. Sie bezieht sich ironisch auf den optimistischen Ausspruch »After the Storm, the Sun will Shine« – und hinterfragt dabei auch eine westliche Perspektive auf das sozialistische Erbe.

Laura Horelli (* 1976 in Helsinki, FIN, lebt in Berlin)
Laura Horellis Arbeit Current Female Presidents (5/2000) besteht aus fünf Bildtafeln, auf denen die im Mai 2000 amtierenden Präsidentinnen aus Finnland, Irland, Lettland, Panama und Sri Lanka zu sehen sind. Inspiriert wurde sie durch die Wahl der ersten weiblichen Präsidentin Finnlands, Tarja Halonen, im März 2000. Jede der kleinteiligen, farbigen Collagen setzt sich aus zahlreichen online verfügbaren Medienbildern zusammen. Ergänzt werden sie durch eine Weltkarte, auf der die kleinen, peripheren Länder mit Präsidentin grau markiert sind – Zeugnis einer männerdominierten Politik, an der sich bis heute nur in Teilen etwas geändert hat. So wird aktuell lediglich etwa ein Zehntel der Staaten weltweit von weiblichen Staatsoberhäuptern und/oder Regierungschef:innen geleitet, obwohl es sich bei nahezu der Hälfte der Weltbevölkerung um Frauen handelt.

Osmar Osten (* 1959 in Karl-Marx-Stadt, lebt in Chemnitz)
Der Chemnitzer Künstler Osmar Osten greift in seinen Werken Worte des alltäglichen Lebens auf und kombiniert sie mit ikonischen Figuren. Durch die Verwendung von doppeldeutigen oder verhörten Worten, die er in seine Werke einschreibt, wird manche Kuriosität erst sichtbar. In der Ausstellung werden Zeichnungen und Grafiken unter dem Titel Revolution qualmt gezeigt. Eine mehrteilige Serie von Zeichnungen, die vor Ort im Raum entstanden ist, trägt den Titel Gute Macht Merkel, in denen eine traditionelle Figur der erzgebirgischen Volkskunst – das Rachermannel – diese Botschaft in den Chemnitzer Abendhimmel blasen wird. Der Gruß verabschiedet die langjährige Bundeskanzlerin und fragt: Was wird von ihrem Wirken bleiben?

Joerg Waehner (* 1962 in Karl-Marx-Stadt, lebt u.a. in Berlin)
Joerg Waehners MIES meets MARX ´Revolutionsdenkmal in Plattenbauweise´ (frei nach Mies van der Rohe) (2021) steht stellvertretend für den Diskurs über Zerstörung und Wiederaufbau von politisch »belasteten« Monumenten und Bauwerken. Eine künstlerische Interpretation des zerstörten Revolutionsdenkmals als respektvolle und spielerische Annäherung, die jene aufgesetzte ideologische Symbolik in einen diversen Stern und die Fahnenstange in einen Strohhalm transformiert, um als Bar mit Gorbatschow-Wodka auf Glasnost und Perestroika anzustoßen. Ein Verweis auf die kontroverse Diskussion um den geplanten Wiederaufbau des Denkmals, sowie die Frage nach dem Umgang mit Geschichte zwischen Wiederaufbau und Abriss. So symbolisiert Mies van der Rohe mit seiner gerade wiedereröffneten Neuen Nationalgalerie in Berlin einen offenen Geist, der für Entideologisierung und Diversität steht.
Im Rahmen der Ausstellung erscheint die Künstlerpublikation I was born in Karl-Marx-Stadt von Joerg Waehner beim Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln.

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Gallery

Chemnitz Open Space, Hinterm Nischel, 2021, Foto: Alexander Meyer
Chemnitz Open Space
Hinterm Nischel, 2021
Chemnitz Open Space, Hinterm Nischel, 2021, Foto: Alexander Meyer
Chemnitz Open Space
Hinterm Nischel, 2021
Chemnitz Open Space, Hinterm Nischel, 2021, Foto: Alexander Meyer
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Hinterm Nischel, 2021
Chemnitz Open Space, Hinterm Nischel, 2021, Foto: Alexander Meyer
Chemnitz Open Space
Hinterm Nischel, 2021
SUSI POP, Selfie, 2021, 25 Siebdrucke auf Leinwand, je 150 x 90 cm, Foto: Alexander Meyer
SUSI POP
Selfie, 2021
SUSI POP, Selfie, 2021, 25 Siebdrucke auf Leinwand, je 150 x 90 cm, Foto: Alexander Meyer
SUSI POP
Selfie, 2021
Hito Steyerl, Empty Centre, 1998, 16 mm Film als digitales Video (Farbe, Ton), Filmlänge: 62 min © © VG Bild-Kunst, Bonn, 2021
Hito Steyerl
Empty Centre, 1998
SUSI POP, Selfie, 2021, 25 Siebdrucke auf Leinwand, je 150 x 90 cm, Foto: Alexander Meyer
SUSI POP
Selfie, 2021
Osmar Osten , Deutsche Vase, 2019, Keramik, Foto: Alexander Meyer
Osmar Osten
Deutsche Vase, 2019
Anna Steinherz , After the Storm, 2018, Digitaldruck auf Papier, Holz, Metall, Acrylglas, 250 x 130 x 20 cm, Foto: Alexander Meyer
Anna Steinherz
After the Storm, 2018
Anna Steinherz, € (zeitgenössische Erntekrone), Teil der Serie Future Primitive, 2021, Stahl, Stroh, Weizen, Ähren, Hafer und Mehlbeeren, 120 x 130 x 15 cm, Foto: Alexander Meyer
Anna Steinherz
€ (zeitgenössische Erntekrone), Teil der Serie Future Primitive, 2021
Anna Steinherz, € (zeitgenössische Erntekrone), Teil der Serie Future Primitive, 2021, Stahl, Stroh, Weizen, Ähren, Hafer und Mehlbeeren,, 120 x 130 x 15 cm , Foto: Alexander Meyer
Anna Steinherz
€ (zeitgenössische Erntekrone), Teil der Serie Future Primitive, 2021
Laura Horelli, Current Female Presidents, 2000, 5-teilige Arbeit, Farbdrucke auf Aluminium, 120 x 80cm, Foto: Alexander Meyer © © VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Laura Horelli
Current Female Presidents, 2000
Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová, Der Darm (Vorstudien), 2020, Foto: Alexander Meyer
Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová
Der Darm (Vorstudien), 2020
SUSI POP, Selfie, 2021, 25 Siebdrucke auf Leinwand, je 150 x 90 cm, Foto: Alexander Meyer
SUSI POP
Selfie, 2021
Chemnitz Open Space, Hinterm Nischel, 2021, Foto: Alexander Meyer
Chemnitz Open Space
Hinterm Nischel, 2021
Chemnitz Open Space, Hinterm Nischel, 2021, Foto: Alexander Meyer
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Hinterm Nischel, 2021
Chemnitz Open Space, Hinterm Nischel, 2021, Foto: Alexander Meyer
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Hinterm Nischel, 2021
Chemnitz Open Space, Hinterm Nischel, 2021
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Hinterm Nischel, 2021
Chemnitz Open Space, Hinterm Nischel, 2021, Foto: Alexander Meyer
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Hinterm Nischel, 2021
Chemnitz Open Space, Hinterm Nischel, 2021, Foto: Alexander Meyer
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Hinterm Nischel, 2021