Die Stadt Chemnitz und die Kunstsammlungen trauern um den jüdischen Chemnitzer, der in der Zeit des Nationalsozialismus aus der Stadt fliehen musste.
Salomo Margulies wurde im April 1923 in Chemnitz geboren. Als er 15 Jahre alt war, nähte ihm seine Mutter ein Bündel Geld ins Hemd und schickte ihn nach Berlin. Er sollte vier Fahrkarten für ein Schiff nach Palästina kaufen, wohin die Familie 1939 aus Chemnitz fliehen wollte. Die Schiffe waren ausgebucht, stattdessen kehrte er mit vier Hin- und Rückflugtickets von Lufthansa nach Hause zurück. Die Familie entschied sich für diese unsichere Route. Nach einer mehrtägigen Reise kam die Familie vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Palästina an. Ihre Habseligkeiten, darunter das Familien-Klavier, folgten bald darauf per Schiff.
Heute befindet sich das Klavier in der Internationalen Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Salomo Margulies, der sich nach seiner Flucht aus Deutschland Shlomo Margaliot nannte, übergab das Klavier zusammen mit über 1.000 persönlichen Dokumenten und Fotos 2016 an Yad Vashem. Er sagte dazu: »Das Klavier sieht aus und klingt wie ein typisches Instrument, aber in seinen Tönen verbirgt sich eine Geschichte des Widerstands und des Überlebens.«
Shlomo Margaliot verstarb im September 2023 im Alter von 100 Jahren in Kfar Saba, einem kleinen israelischen Ort in der Nähe von Tel Aviv.
Oberbürgermeister Sven Schulze dazu: »Dass das Klavier, das Shlomo Margaliot einst mit anderen Gegenständen aus Chemnitz rettete, in unsere Stadt zurückkehrt, empfinde ich als große Ehre. Das Klavier stand für ihn als Symbol seiner Kindheit, die mit schrecklichen Erinnerungen, mit Angst um sein Leben und das seiner Eltern und mit Flucht aus seiner Heimat verbunden war.
Diese Woche wollte ich mit Shlomo Margaliot telefonieren, ein Gespräch, dem ich gespannt entgegensah. Was hätte er mir von dem Chemnitz vor fast hundert Jahren erzählt, von seiner beschwerlichen Reise, die ihm das Leben rettete?
Shlomo Margaliot hat den Holocaust, hat den Zweiten Weltkrieg überlebt. Nach über 100 Jahren ist seine Stimme nun leider verstummt, doch sein Klavier spielt seine Geschichte, die im April 1923 in Chemnitz begann, weiter. Hoffentlich für noch viele Generationen. Denn es bleibt wichtig, beständig an die Gräueltaten des Nazi-Regimes zu erinnern und zu mahnen, damit sie sich niemals mehr wiederholen.
Mein Mitgefühl gilt seinen Angehörigen und Freunden und allen, die Shlomo Margaliot nahestanden. Die Stadt Chemnitz wird ihm mit dieser Ausstellung ein ehrendes Andenken bewahren.«
Die Ausstellung Aus Chemnitz. Ein Klavier erzählt die Geschichte der Familie Margulies und wird ab dem 4. Oktober 2023 in den Kunstsammlungen am Theaterplatz gezeigt. Die Geschäftsführerin des Freundeskreises Yad Vashem, Ruth Ur, sagt: »Shlomo Margaliots Tod ist eine Erinnerung an den flüchtigen Moment, in dem wir uns befinden, wenn die letzten Augenzeugen der Nazizeit verschwinden.« Die Ausstellung erinnert daran, dass jeder Ort in Deutschland durch den Holocaust auch einen Teil seiner Geschichte verloren hat.