Objekttexte Brücke und Blauer Reiter

Erich Heckel (1883–1970)
Zwei Mädchen, 1912
Von der Heydt-Museum Wuppertal

Heckel schuf in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg viele hintergründige Bilder mit unklaren Raumsituationen und mehrdeutigen Interpretationsmöglichkeiten. »Es stellt eine hockende Frau und ein kniendes Kind dar, auf einem Fußboden, der ein Teppichornament hat und vor einer Wand mit gebatiktem Stoff«, beschreibt der Künstler sein Gemälde 1951. »Gebildet ist also ein realer Vorgang, darüber hinaus jedoch [wird] durch die Berührung der Hände, den Ausdruck und ebenso durch die Winkel und Kreise hinter den Köpfen durch die Farbe eine Beziehung zwischen dem älteren und dem jungen Menschen sichtbar gemacht.«

 

Erich Heckel (1883–1970)
Szene am Meer (Badende Frauen), 1912
Von der Heydt-Museum Wuppertal

Erich Heckel und seine Frau Sidi verbrachten 1912 den Sommer auf Hiddensee und besuchten danach Ernst Ludwig Kirchner, seine Frau Erna Schilling und ihre Schwester Gerda auf Fehmarn.

Die Figuren sind schwarz konturiert, auf die Binnenformen und somit auf eine Individualisierung der Dargestellten wird weitgehend verzichtet. In der Darstellung des gemeinsamen Badens spiegeln sich die Vorstellungen einer idealen Lebensform wider, die ein freies Zusammenleben der Geschlechter im Einklang mit der Natur ermöglicht. Motiv und Haltung stehen im Einklang mit der damals verbreiteten Lebensreformbewegung.

 

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)
Vier Badende, 1909/1910
Von der Heydt-Museum Wuppertal

Die Sommer 1909 und 1910 verbrachten die Malerkollegen Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel an den nördlich von Dresden gelegenen Moritzburger Seen. 1910 kam auch Max Pechstein dazu. Freiheit und Unberührtheit verbanden sie mit der Seenlandschaft. In der Naturidylle entstanden vornehmlich Aktbilder, die eine unverfälschte Harmonie zwischen Mensch und Natur ausstrahlen und auch an die Lebensreformbewegung denken lassen.

Die Figur rechts im Bild ist nur schemenhaft ausgearbeitet. Hier, wie auch an anderen Stellen des Bildes, ist die Leinwand noch erkennbar. So zeugt die Malweise, wie auch an den skizzenhaften Umrisslinien zu sehen, von einer schnellen Arbeitsweise und Spontanität. Vermutlich ist die Darstellung direkt vor Ort nach unmittelbarer Beobachtung entstanden.

 

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)
Windmühlen auf Fehmarn, 1913
Von der Heydt-Museum Wuppertal

1908 reiste Kirchner mit Emy Frisch, der späteren Frau von Karl Schmidt-Rottluff, und ihrem Bruder Hans erstmalig nach Fehmarn. Insgesamt vier Mal hielt er sich in den Jahren 1912–1914 auf der Insel auf, wo er von der relativ unberührten Natur beeindruckt war und über 120 Werke entstanden.

Er schreibt 1912 an seinen Vertrauten Gustav Schiefler: »Ich habe Bilder gemalt von absoluter Reife, soweit ich das selbst beurteilen kann. Ocker, Blau und Grün sind die Farben von Fehmarn, wundervollste Küstenbildung, manchmal von Südseereichtum, tolle Blumen mit fleischigen Stielen und dazu eine durch Inzucht ziemlich degenerierte Bevölkerung.«

 

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)
Bildnis Gerda, um 1914
Von der Heydt-Museum Wuppertal

Kirchner lernte 1911 die Schwestern Erna und Gerda Schilling in einem Nachtlokal in Berlin kennen, Erna wurde später seine Lebensgefährtin. Der Künstler porträtiert Gerda als modisch gekleidete, aufwendig geschminkte Frau. Auffällig ist der große, mit Blüten geschmückte Hut. Die Farben wirken grell, sie sind leuchtend und scharf in ihren Kontrasten nebeneinandergesetzt.

Kirchner selbst schrieb über die beiden Frauen: »Die schönen architektonisch aufgebauten strengförmigen Körper dieser beiden Mädchen lösten die weichen sächsischen Körper ab. […] Sie erziehen mein Schönheitsempfinden zur Gestaltung der körperlich schönen Frau unserer Zeit.«

 

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)
Frauen auf der Straße, um 1914
Von der Heydt-Museum Wuppertal

Ernst Ludwig Kirchner malte die Frauen auf der Straße um 1914 in Berlin. 1911 war der Künstler in der Hoffnung auf größeren Erfolg von Dresden in die Metropole gezogen. Seit zwei Jahren beschäftigte er sich immer wieder mit Straßenszenen in der Malerei. Die heimlichen Kontaktaufnahmen von Kokotten und ihren Kunden besaßen den Reiz des Verbotenen, da Prostitution offiziell untersagt war. Das nächtliche Treiben auf den Straßen und in den Vergnügungsetablissements faszinierte den Künstler.

Unter dem Einfluss des italienischen Futurismus übertrug Kirchner seine nervöse Energie in dynamische Ausdrucksformen. Als letztes von acht Gemälden mit Straßenszenen bildet dieses Werk einen Höhepunkt seines expressionistischen Schaffens.

 

Otto Mueller (1874–1930)
Fünf Akte am Wasser, um 1911
Kunstmuseum Gelsenkirchen

Ende 1910 wurde Mueller Mitglied der »Brücke«. Bereits vorher war er Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Max Pechstein in Berlin begegnet. 1910 und 1911 nahm er an den Sommeraufenthalten an den Moritzburger Teichen bei Dresden teil, in denen gemeinsam in der freien Natur mit Aktmodellen gearbeitet wurde.

Das Gemälde in der Ausstellung ist eine von vielen Varianten des Themas Akt in der Landschaft, die Mueller schuf und in denen er die Harmonie zwischen Mensch und Natur sucht. Am Ufer eines baumbestandenen Sees gruppiert der Künstler vier unbekleidete Mädchen und einen jungen Mann. Ins Auge fallen die blauen Konturen der Körper sowie die spontane Pinselführung.

 

Emil Nolde (1867–1956)
Lesende Dame, 1906
Kunsthalle zu Kiel, Schenkung von Handel und Industrie Schleswig-Holstein anlässlich des 100. Jubiläums und der Wiedereröffnung der Kunsthalle 1957

Mit dem Thema der Garten- und Blumenstücke gelang es Emil Nolde zunehmend, der Farbe ihre bestimmende und für den Expressionismus typische Ausdruckskraft zu verleihen. Begegnungen mit Werken Vincent van Goghs, Paul Gauguins und Edvard Munchs beeinflussten Noldes Schaffen.

Bei der lesenden Frau im weißen Kleid handelt es sich um Noldes Ehefrau Ada. Konzentriert ist sie in ihre Lektüre vertieft. Trotz des Titels steht sie jedoch nicht im Zentrum der Darstellung, sondern trägt vielmehr dazu bei, die Szene zu beleben.

Ähnlich wie für den Impressionisten Claude Monet, war auch für Nolde die Motivik des Gartens eine wichtige Inspirationsquelle. Ab 1928 ließ er sich in Seebüll in Nordfriesland einen Garten anlegen, der ihm als Motiv für seine Malerei diente.

 

Emil Nolde (1867–1956)
Brücke, 1910
Von der Heydt-Museum Wuppertal

Emil Nolde, älter und damals auch bekannter als die Gründungsmitglieder der »Bücke«, war nur von 1906 bis 1907 Mitglied der Künstlergemeinschaft. Das Gemälde gehört zu den ersten Seenlandschaften des Künstlers, die zu seinen bevorzugten Bildthemen zählen und noch in atmosphärisch flirrender, spätimpressionistischer Manier gemalt sind. Die tiefstehende Sonne lässt den Himmel und das Wasser goldgelb erstrahlen.

Der Maler verbrachte 1909 den Sommer erstmals in Ruttebühl in der Nähe seines Geburtsortes Nolde, der ihn, der eigentlich Emil Hansen hieß, auch zu seinem Künstlernamen inspirierte.

 

Emil Nolde (1867–1956)
Stillleben mit gelbem Pferd, 1914
Kunst- und Museumsverein im Von der Heydt-Museum Wuppertal

Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges begleitete Emil Nolde 1913 eine Expedition des deutschen Reichskolonialamts über Russland, China, Korea und Japan nach Neuguinea. Nolde, der mit der Kunst der sogenannten »Naturvölker«, bereits durch Besuche im Berliner Völkerkundemuseum und anderen ethnografischen Sammlungen vertraut war, interessierte sich für eine angeblich »primitive
Urkunst«.

Auf dem Stillleben platziert er zwei solcher Figuren, ein Keramikpferd aus Ostasien und eine Buddhafigur aus China, vielleicht aus seiner eigenen Sammlung, vor einer Textilie mit Fabelwesen, die von ihm entworfen und seiner Frau Ada gewebt worden war.

 

Max Pechstein (1881–1955)
Der Sohn des Künstlers auf dem Sofa, 1917
Von der Heydt-Museum Wuppertal

Pechstein unternahm 1914 mit seiner Frau Lotte eine mehrmonatige Reise zu den Palauinseln in die Südsee, seit 1899 Teil des deutschen Kolonialreichs. Rückblickend erklärte er diese Reise zum glücklichen Höhepunkt seines Lebens. Nach der Freistellung vom Kriegsdienst kehrte Pechstein im Frühjahr 1917 nach Berlin zurück, wo er das Bildnis seines vierjährigen Sohnes Frank auf dem Sofa schuf.

Frank stützt sich auf einer Chaiselongue hingestreckt auf seinen Arm. Die Rückwand hinter der Liege ziert eine Wandmalerei mit verklärenden Südseemotiven, mehreren Tieren und einer Einheimischen, die ein Tier speist. Ihre devote Haltung und halbnackte Darstellung vermittelt im Kontrast zu dem angezogen und in selbstbewusster Pose liegenden Jungen ungewollt das unangemessene Herrschaftsverhältnis von weißer Kolonialmacht zu einheimischer Bevölkerung.

 

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)
Norwegische Landschaft (Skrygedal), 1911
Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See

Die Norwegische Landschaft von Karl Schmidt-Rottluff wird von kräftigen Farben bestimmt: Die hellgrünen Wiesen im Vordergrund, das leuchtende Rot der entfernten Bergketten, die rechts und links von dunkelgrünen Bergen eingerahmt werden, und das satte Blau des schmalen Himmelsstreifes. Dabei sind die Farben in kompakten Flächen aufgetragen, ohne dass der Maler seinen Objekten weitere beschreibende Details verlieh.

Ähnlichkeiten weist seine Darstellung zu den Landschaften Edvard Munchs auf, der sich zeitweilig in Deutschland aufhielt und von den Expressionist:innen verehrt wurde. Schmidt-Rottluff versuchte vergeblich Munch zu einer Mitgliedschaft bei der »Brücke« und zu gemeinsamen Ausstellungen zu bewegen. 1911 zog es Schmidt-Rottluff selbst nach Norwegen, wo die Norwegische Landschaft entstand.

 

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)
Nehrungslandschaft, 1913
Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See

Schmidt-Rottluff malte die Landschaft während eines Aufenthaltes in Nidden, einem Ort an der Kurischen Nehrung im heutigen Litauen. In Nidden hatte sich eine Künstlerkolonie gebildet, die viele Künstler:innen anzog, darunter auch Max Pechstein. Von der Begeisterung seines Kollegen angeregt, entschloss sich Schmidt-Rottluff, den Sommer 1913 dort zu verbringen.

Mit einfachen künstlerischen Mitteln erzeugt er ein Gefühl von Räumlichkeit, das durch die Staffelung der Landschaftselemente sowie die Platzierung der Farbe entsteht – im Vordergrund das helle Ocker, im Hintergrund die kühlen Blau-und Grüntöne.

 

Alexej von Jawlensky (1864–1941)
Mädchen mit Pfingstrosen, 1909
Kunst- und Museumsverein im Von der Heydt-Museum Wuppertal

Jawlensky erhielt wichtige Anregungen für seine künstlerische Entwicklung während seiner Parisaufenthalte von 1903 bis 1907, wo er die Kunst der Fauves bewunderte und mit Henri Matisse in Berührung kam.

Die junge Frau, vermutlich das häufig porträtierte Münchner Modell Resi, hält einen Pfingstrosenstrauß im Arm und trägt eine auffällige Kopfbedeckung. Diese bestimmt mit der roten Jacke und den Blumen die flächige Komposition vor grellem türkisgrünen Hintergrund. Die Gesichtszüge der jungen Frau sind noch im Detail erfasst. Zu dieser Zeit hatte der Künstler bereits begonnen, in den Gesichtern nur Schatten zu setzen, um sie später in abstrakten Farbfeldern ganz aufzulösen.

 

Wassily Kandinsky (1866–1944)
Murnau – Untermarkt, 1908
Privatbesitz Deutschland

Murnau, der kleine Ort in Oberbayern am Staffelsee, wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einem Zentrum der expressionistischen Malerei. Nach Jahren des Reisens entdeckten ihn Wassily Kandinsky und Gabriele Münter im Sommer 1908. Das befreundete Künstlerpaar Alexej von Jawlensky und Marianne von
Werefkin kam im August desselben Jahres ebenfalls dorthin. Sie wohnten im Gasthof Griesbräu am Obermarkt und arbeiteten intensiv zusammen. Nachdem Gabriele Münter im Jahr 1909 ein Haus in Murnau gekauft hatte, wurde dies zum Treffpunkt der expressionistischen Künstlerpaare.

Kandinsky nannte seine Murnauer Landschaften, die zwischen 1908 und 1910 entstanden, »Impressionen«, denn ihr Ursprung war die Beobachtung der Natur. Zunehmend befreite Kandinsky die Farbe mehr und mehr vom Gegenstand und überwand die perspektivische Darstellung.

Wassily Kandinsky (1866–1944)

Improvisation Sintflut, 1913

Improvisation Deluge, 1913

Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München,

Gabriele Münter Stiftung 1957

Die Improvisation Sintflut ist eine der vorbereitenden Arbeiten zu Wassily Kandinskys großer Komposition VI zum Thema der Sintflut. Ausgangspunkt war ein heute verschollenes Hinterglasbild mit zahlreichen erzählerischen Motiven des biblischen Strafgerichts wie Tieren, nackten Gestalten, einer Arche, Palmen, Blitzen und Regen. Es dauerte jedoch lange, bevor sich Kandinsky vom äußeren, mimetisch-dinghaften Bild der Sintflut zugunsten einer unabhängigen Formvorstellung befreien konnte. Er kam sich nach eigenem Bekunden vor wie eine Schlange, »der es nicht recht gelingen wollte, aus der alten Haut zu kriechen«. Der Eindruck von Bewegung und Wasser oder gar eines dramatischen Geschehens wie Flut und Untergang kommt auf, ohne dass dafür ein gegenständlicher oder figürlicher Anhaltspunkt auszumachen wäre.

Wassily Kandinsky (1866–1944)

Improvisation 33 (Orient I), 1913

Collection Stedelijk Museum Amsterdam

In Anlehnung an die Musik erstrebte Kandinsky für seine Malerei eine Art »Harmonielehre«, der die Farben und Formen in einer vergeistigten und abstrahierten Form folgen sollten. Dabei bezeichnete er als Impressionen Gemälde, die einen direkten Eindruck der äußeren Natur wiedergeben. Improvisationen verarbeiten dagegen von der »inneren Natur« empfangene Eindrücke. Jenseits einer abstrakten Komposition von Farbflächen und Linien lassen sich auf Improvisation 33 gegenständliche Elemente erkennen, die durch den Nebentitel Orient I noch unterstrichen werden. Das Gemälde kann als Variation des Themas Garten Eden verstanden werden, worauf etwa die horizontale Formen links im Vordergrund hindeuten, die als liegende Frau oder Paar gelesen werden können, das blaue Oval in Assoziation eines sprudelnden Brunnens. Aber wie ist die schwarze Fläche zu verstehen, ziehen dunkle Wolken auf?

Paul Klee (1879–1940)

Innenarchitektur, 1914

Interior Architecture, 1914

Aquarell, Gouache, Kreidegrund

Watercolour, gouache, chalk ground

Kunst- und Museumsverein im Von der Heydt-Museum Wuppertal

In der intensiven Auseinandersetzung mit dem französischen Kubismus und Robert Delaunay erhielt Klee wichtige Impulse zur Ausbildung seines Stiles. In diesem Zusammenhang war auch die Reise nach Tunesien im April 1914 mit seinen Malerfreunden
August Macke und Louis Moilliet von großer Bedeutung. Dort entdeckte er sein Verhältnis zur Farbe neu.

Mit der Farbpalette aus Blau-, Violett- und Grüntönen wird eine nächtliche Stimmung assoziiert. Klee ordnet Architekturelemente wie Fenster, Kuppeln, Zäune, Mauern und Rundbögen in eine Struktur von Waagerechten und Senkrechten. Wie illuminierte Fenster und Türöffnungen sind leuchtende Farbflächen rhythmisch über das Blatt verteilt. So verbinden sich in einer freien Komposition Natureindrücke und geometrische Formen zu einem untrennbaren Bildkosmos.

August Macke (1887–1914)

Mädchen mit Fischglas, 1914

Girl with Fishbowl, 1914

Von der Heydt-Museum Wuppertal

Mädchen mit Fischglas entstand im Jahr 1914, in der letzten Schaffensphase des jung im Krieg gefallenen Malers August
Macke. Zu dieser Zeit löste er sich vom Expressionismus im Sinne des »Blauen Reiter« und setzte sich mit den formalen Prinzipien des französischen Malers Robert Delaunay auseinander, den er zwei Jahre zuvor mit Franz Marc in Paris kennengelernt hatte.

Tief beeindruckt schrieb Marc an Kandinsky: »Delaunay hat mich sehr interessiert. Er arbeitet sich zu wirklich konstruktiven Bildern durch, ohne jede Gegenständlichkeit, man könnte sogar sagen, rein klangliche Fugen«. Unter dem Eindruck des Franzosen war Macke bestrebt, die Bildkompositionen durch Farbe, Licht und Bewegung rhythmisch und prismenhaft zu gestalten.

Franz Marc (1880–1916)

Akt mit Katze, 1910

Nude with Cat, 1910

Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München

Franz Marcs expressionistisches Hauptwerk ist von Tierbildern geprägt, die er ins Symbolhafte eines friedlichen Paradieses steigerte. Bereits 1907 begann er Tiere zu zeichnen. 1908 verbachte Marc den Sommer mit der Malerin und seiner späteren Ehefrau Maria Franck in Lenggries in Oberbayern. Auch dort malte er vor allem Tiere. In seiner Darstellung Akt mit Katze ist das Tier, eine kleine gelbe Katze, lediglich Nebendarsteller. Das Zentrum des quadratischen Bildes nimmt die hockende weibliche Aktfigur ein, die der Katze ein Schälchen Milch reicht.

Marc hatte gemeinsam mit August Macke, den er kurz zuvor kennengelernt hatte, eine Ausstellung von Henri Matisse in der Galerie Thannhauser in München gesehen. Für beide waren die Bilder des französischen Malers eine große Inspiration. So spiegelt sich in Marcs freiem Umgang mit der Farbe, der in Akt mit Katze zu beobachten ist, der Ansatz von Matisse und den Fauves deutlich wieder.

Franz Marc (1880–1916)

Die Gelbe Kuh, 1911

The Yellow Cow, 1911

Öl auf Holz

Oil on wood

Kulturstiftung Sachsen-Anhalt, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Dauerleihgabe Sammlung Kracht

Permanent loan from the Collection KrachT

Mit seinem Umzug von München nach Sindelsdorf 1910 konzentrierte sich Marc in der ländlichen Abgeschiedenheit nun vollständig auf das Tierbild und überwand impressionistische Einflüsse. Das Jahr 1911 war für die künstlerische Entwicklung von Franz Marc von entscheidender Bedeutung. Er stand in dieser Zeit im engen Austausch mit Wassily Kandinsky und setzte sich intensiv mit farbtheoretischen Fragen auseinander. Ende des Jahres wurde die erste Ausstellung des »Blauen Reiter« in der Galerie Tannhauser in München eröffnet.

Die übermütig springende gelbe Kuh bewegt sich in einer stark vereinfacht dargestellten Landschaft. Für den Künstler ist die Verschmelzung von Tier und Umgebung Grundlage der Bildidee. Die lebendige Szene ist locker auf das ungrundierte Holz gemalt, so dass an einigen Stellen noch der Malgrund durchscheint.

Franz Marc (1880–1916)

Fuchs, 1911

Fox, 1911

Von der Heydt-Museum Wuppertal

Seit 1907 widmete sich Marc nahezu ausschließlich der Tierdarstellung und versuchte über die äußere Gestalt das Wesen des Tieres sichtbar zu machen: »Ich empfand schon sehr früh den Menschen als ›häßlich‹, das Tier schien mir schöner, reiner.«

Die Farben seiner Bilder sind symbolisch aufgeladen. So steht bei ihm die Farbe Blau für das »männliche Prinzip, herb und geistig«, Gelb interpretiert er als weiblichen Part und Rot sieht er als »Materie, die von den beiden anderen bekämpft werde«.

Der Fuchs gehört zu den Hauptwerken des Künstlers. Der Körper des ruhenden Fuchses verschmilzt mit den farbintensiven Flächen der Landschaft zu einer harmonischen Einheit.

Franz Marc (1880–1916)

Im Regen, 1912

In the Rain, 1912

Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Bernhard und Elly Koehler Stiftung 1965, Schenkung aus dem Nachlaß Bernhard Koehler sen., Berlin

Donation from the estate of Bernhard Koehler sen., Berlin

Dynamisch fallen große Regentropfen diagonal durch das Bild herab und ergießen sich über eine Landschaft mit Bäumen und Sträuchern. Zwei Figuren sind zu erkennen, die sich unter einem Baum in Sicherheit gebracht haben. Dem weißen Hund in der vorderen rechten Bildecke scheint der Regenschauer nichts auszumachen. Franz Marc malte hier sich selbst und seine Frau Maria Marc mit ihrem geliebten Hund Russi – vermutlich im oberbayerischen Sindelsdorf.

Im Schaffen Marcs nach 1910 ist das Bild Ausnahme, malte er seit dieser Zeit doch nur noch Landschaft- und Tierdarstellungen. Marcs prismenhafte Zerlegung von Motiven reiht sich ein in die avantgardistischen Strömungen der Vorkriegszeit. Es zeigt die Einflüsse von Robert Delaunay wie auch der italienischen Futuristen, die er zu dieser Zeit in Köln und München gesehen hatte.

Gabriele Münter (1877–1962)

Großer Herbstbaum, 1910

Great Autumn Tree, 1910

Öl auf Pappe

Oil on board

Privatsammlung Deutschland

Private Collection Germany

Es war Marianne von Werefkin, die sich der Kunst der Nabis, dem Werk van Goghs und Gauguins, besonders verbunden fühlte. 1906 war die Malerin zu Studienzwecken in Frankreich gewesen. Später gab sie die Ideen an Münter und Kandinsky weiter. Wie auch charakteristisch für die Nabis, baute Münter ihre Landschaft als Fläche auf, die mit Farbe bedeckt ist. Dabei entwickelte sie einen hohen Abstraktionsgrad, der ihr Bildverständnis in dieser Zeit maßgeblich prägte. Doch ihre abstrakten Bilder wurden lange unterschlagen oder nicht ernst genommen. Dabei dient die Unterstellung, Münter habe nicht abstrakt malen können – während Kandinsky als der Erfinder der Abstraktion gilt –, ausschließlich dem Ausschluss aus einer Kunstgeschichte der Avantgarde.

Marianne von Werefkin (1860–1938)

Eisengießerei in Oberstdorf, 1912

Iron Foundry in Oberstdorf, 1912

Öl auf Tempera, auf Papier, auf Pappe

Oil on tempera, on paper, on board

Von der Heydt-Museum Wuppertal

Marianne von Werefkin besuchte in St. Petersburg als Privatschülerin das Atelier Ilja Repins. Dort lernte sie auch ihren späteren
Lebensgefährten Alexej Jawlensky kennen, mit dem sie 1896 nach München übersiedelte. Sie verzichtete in den nächsten Jahren darauf, eigene Bilder zu malen, um sich ganz der Talentförderung ihres Partners zu widmen. Erst 1907 begann Werefkin wieder zu malen.

Mit dem Gemälde Eisengießerei in Oberstdorf setzt sie sich intensiv mit der sich verändernden Arbeitswelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts auseinander. Dunkle Farbtöne dominieren das Bild des qualmenden Schlotes über den Dächern des Alpenortes.

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 mussten Werefkin und Jawlensky Deutschland verlassen, bis zu ihrem Tod lebte sie in der Schweiz.

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Frauen auf der Straße, 1913/1914

Women on the Street, 1913/1914

Kohle, Pastell

Charcoal, pastels

Von der Heydt-Museum Wuppertal

Ernst Ludwig Kirchner malte die Frauen auf der Straße um 1914 in Berlin. 1911 war der Künstler in der Hoffnung auf größeren Erfolg von Dresden in die Metropole gezogen. Seit zwei Jahren beschäftigte er sich immer wieder mit Straßenszenen in der Malerei. Die heimlichen Kontaktaufnahmen von Kokotten und ihren Kunden besaßen den Reiz des Verbotenen, da Prostitution offiziell untersagt war. Das nächtliche Treiben auf den Straßen und in den Vergnügungsetablissements faszinierte den Künstler.

Unter dem Einfluss des italienischen Futurismus übertrug Kirchner seine nervöse Energie in dynamische Ausdrucksformen. Als letztes von acht Gemälden mit Straßenszenen bildet dieses Werk einen Höhepunkt seines expressionistischen Schaffens.

Erich Heckel (1883–1970)

Der schlafende Pechstein, 1910

Pechstein Sleeping, 1910

Buchheim Museum der Phantasie, Bernried am Starnberger See

Vor rund knapp 70 Jahren ersteigerte der Gründer des Buchheim Museums der Phantasie, Lothar-Günther Buchheim, 1955 bei einer Stuttgarter Auktion Erich Heckels Ölgemälde Frau und Kinder von 1920. Verborgen auf der Rückseite und beschützt von einer Schicht weißer Kreide, befand sich die Darstellung eines Mannes im Liegestuhl. Das Motiv kannte Buchheim aus einem Katalog der Galerie Arnold in Dresden von 1910. Dank dieser Tarnung als Rückseitenbild eines nicht als »entartet« gebrandmarkten Gemäldes überstand das verloren geglaubte Werk Der schlafende Pechstein die Zeit des Nationalsozialismus.

Erich Heckel malte hier seinen Freund Max Pechstein im Sommer 1910 im kleinen Badeort Dangast an der Nordsee, wo dieser ihn und den Malerfreund Karl Schmidt-Rottluff für einige Wochen besuchte. Es gilt als eine Inkunabel des Expressionismus, 1974 wurde gar eine Briefmarke der Bundespost danach publiziert.

Fritz Bleyl (1880–1966)

Ausstellung Künstlergruppe Brücke (Plakat zur Ausstellung bei Karl Max Seifert in Dresden–Löbtau), 1906

Exhibition by Artists Group Brücke (Poster for the exhibition at Karl Max Seifert’s in Dresden-Löbtau), 1906

Lithografie in Gelborange

Lithograph in yellow and orange

Kunstsammlungen Chemnitz

Das Plakat entstand als Werbung für die erste »Brücke«-Ausstellung in Dresden und fiel der Zensur der Behörden zum Opfer. Die Ausstellung fand im Verkaufsraum der Lampenfabrik Karl Max
Seifert in Dresden-Löbtau statt. Bleyl schrieb später dazu: »Eine besondere Bewandtnis sollte es noch mit dem ersten Plakat dieser Ausstellung haben […] Es sollte in langer, schmaler Form, einem japanischen Kakemono ähnlich, in zitronengelbem Ton auf Weiß, eine aus dunklem Grund heraustretende nackte weibliche Gestalt darstellen […] Dieses Plakat, das der Polizeiverwaltung vorgelegt werden musste, fand in prüder Ablehnung nicht die Genehmigung zum Aushang.«

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Programm der Künstlergruppe Brücke, 1906

Manifesto of the Artists Group Brücke, 1906

Holzschnitt auf gefaltetem Papier

Woodcut on folded paper

Kunstsammlungen Chemnitz

Kirchner ist der Verfasser des programmatischen Textes von 1906. Er drückt die ganze Aufbruchsstimmung der jungen Künstler, ihren Willen zur gemeinsamen Arbeit und zugleich ihren Freiheitsdrang aus. Kirchner schnitt den Text in Holz und entwarf die dazugehörige, deutlich kleinere Titelvignette. Die Umsetzung im Schriftbild – kantige Großbuchstaben in einem schlanken hochformatigen Blocksatz – entspricht der kraftvollen, impulsiven Sprache des Textes. Deutlich werden der künstlerische Anspruch und das Streben nach einer einheitlichen Wirkung von Inhalt und Gestaltung. Eine maschinengedruckte Version des Textes wurde als Flyer bei Ausstellungen ausgelegt, der exklusive Holzschnitt hingegen an die passiven Mitglieder der »Brücke« verschickt.

Die Verwendung des Holzschnitts kann als Reverenz an die verehrte Kunst des Spätmittelalters, namentlich Albrecht Dürers, verstanden werden; die mittelalterlichen Zünfte dienten auch als Vorbild für ihren Zusammenschluss als Künstlergruppe.

Alexej von Jawlensky (1864–1941)

Spanisches Mädchen (Plakat für die 2. Gesamtausstellung der Galerie Neue Kunst, Hans Goltz, München), 1913

Spanish girl (Poster of the 2nd Collective Exhibition at Gallery Neue Kunst, Hans Goltz, Munich), 1913

Farblithografie

Colour lithograph

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Hans Goltz war Buch- und Kunsthändler und betrieb in München die Galerie Neue Kunst. Er förderte junge oder noch unbekannte avantgardistische Künstler:innen und pflegte zudem engen Austausch mit den Protagonist:innen des »Blauen Reiters«. Mit den Mitgliedern dieser Gruppe hatte er bereits eine Ausstellung veranstaltet.

Im Oktober 1912 bezog die Galerie neue, repräsentative Ausstellungsräume am Münchner Odeonsplatz. Dort fand von August bis September des darauffolgenden Jahres eine Gruppenausstellung statt, an der sich Jawlensky mit mehreren Arbeiten beteiligte. Als Vorlage für das dazugehörige Ausstellungsplakat diente
Jawlenskys Ölgemälde Spanisches Mädchen, das er ein Jahr zuvor geschaffen hatte (heute im Kunstmuseum Ravensburg).

August Macke (1887–1914)

Eine Ladenstraße unter Lauben, 1914

A Row of Shops under Arcades, 1914

Aquarell

Watercolour

Kunstsammlungen Chemnitz, Leihgabe Sammlung Claus Hüppe

Loan from the Claus Hüppe collection

Das Aquarell Eine Ladenstraße unter Lauben entstand 1914 am Thuner See, wo die überdachten, vor Wind und Wetter schützenden Passagen zum Stadtbild gehörten. Davon profitierte auch das lebhafte städtische Treiben, das August Macke hier schildert. Die Farbe ist zeichnerisch eingesetzt und unterstützt den flüchtigen Eindruck eines urbanen Milieus an einem sonnigen Tag. Durch die besondere Architektur strahlt das zitronengelbe Licht nur partiell zwischen schwärzlich-violetten Säulen herein und illuminiert hier und da die Schaufenster und die davor entlang schreitenden Männer und Frauen. Der Schauende kann in der nach hinten fluchtenden Perspektive selbst zum Flaneur werden, wenn er sich mit diesen Staffagefiguren identifiziert.

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)

Landschaft im Herbst, 1910

Landscape in Autumn, 1910

Kunstsammlungen Chemnitz

Dieses Landschaftsgemälde entstand im Herbst 1910. Schmidt-Rottluff hielt sich von April bis in den November hinein im Nordseebad Dangast auf und war künstlerisch außergewöhnlich produktiv. In Dangast arbeitete er während mehrerer Sommer oft allein, zeitweise aber auch mit seinen Dresdner Künstlerkollegen Erich Heckel und Max Pechstein sowie der Hamburger Malerin Emma Ritter. Emma Ritter war von Schmidt-Rottluffs Malerei begeistert und sprach von dieser als etwas, was ihr »… bis dahin sonst noch nirgends in zeitgenössischer Kunst begegnet war«.

Mit seiner expressiven Farbenpracht und dem gestisch schnellen Pinselduktus gilt das Gemälde als eine der Inkunabeln des sogenannten Kollektivstils der »Brücke«-Künstler. Die Farben Rot und Grün stoßen in Komplementärkontrasten aufeinander. Farbakkorde werden zum Schwingen und Klingen gebracht.

Erich Heckel (1883–1970)

Flusslandschaft mit Brücke und Zug, 1905

River Landscape with Bridge and Train, 1905

Öl auf Pappe

Oil on board

Kunstsammlungen Chemnitz

Während der Schulzeit in Chemnitz schloss Erich Heckel Freundschaft mit Karl Schmidt-Rottluff. 1905 trafen sich beide an der Dresdner Technischen Hochschule wieder, wo sie Architektur studierten. Durch Gespräche mit Kirchner und Bleyl und gemeinsame Übungen im Zeichnen wurde Heckel sich nach und nach seiner bildnerischen Begabung bewusst.

Mit ihren kurzen, starken Pinselstrichen macht die hier ausgestellte Dresdner Flusslandschaft mit Brücke und Zug deutlich, dass 1905 die Malweise Erich Heckels und der »Brücke« noch sehr stark am Spätimpressionismus orientiert war. Unmittelbar nach Gründung der Künstlergemeinschaft »Brücke« gab es noch keine feste künstlerische Zielsetzung. Der typische expressionistische Stil der »Brücke-Künstler« entwickelt sich erst noch beim gemeinsamen Arbeiten.

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Erich Heckel und Dodo im Atelier, 1910/1911

Erich Heckel and Dodo in the Studio, 1910/1911

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Die Protagonisten der Künstlergruppe »Brücke« pflegten untereinander enge freundschaftliche Kontakte, sie integrierten Kunst und Leben. Ganz in diesem Sinne veranschaulicht das Gemälde Erich Heckel und Dodo im Atelier die vertraut anmutende Wohn- und Arbeitsatmosphäre der Künstler. Heckel sitzt mit Ernst Ludwig Kirchners Lebensgefährtin Doris, genannt Dodo, in der Sitzecke des Ateliers an einem mit Kaffeetassen gedeckten Tisch. Sein Oberkörper ist leicht nach vorne gebeugt. Es scheint so, als würde er ihr etwas erzählen. Während im Hintergrund ein Gemälde Kirchners zu erkennen ist, steht auf dem Tisch eine kleine Holzskulptur. Charakteristisch für Kirchners Stil um 1911 ist das Zusammenfassen einzelner Formen- und Farbflächen durch schwarze Konturlinien.

Ernst Ludwig Kirchner (1880–1938)

Sitzender Akt mit Fächer, 1911

Seated Nude with Hat, 1911

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Das Gemälde Sitzender Akt mit Fächer entstand kurz vor
Kirchners Übersiedelung nach Berlin. Es zeigt eine nackte Frau, die mit angewinkelten Knien auf einer blauen, teppichähnlichen Fläche sitzt. Während sie in der linken Hand einen Fächer hält, bedeckt die rechte Hand den Schambereich. Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf blickt die Person aus dem linken unteren Bildrand hinaus.

Die Komposition wird von vereinfachten Formen, geschwungenen Linien der Körperkonturen und kräftigen Farben bestimmt. Im Herbst 1910 lernte Ernst Ludwig Kirchner in Dresden die Kunst des französischen Malers Paul Gauguin kennen. Wie die vorliegende Aktdarstellung zeigt, wurde sein künstlerisches Schaffen dadurch nachhaltig beeinflusst.

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)

Lesende Kinder (Lampenlicht), 1906

Children Reading (Lamplight), 1906

Kunstsammlungen Chemnitz, Leihgabe aus Privatbesitz

Loan from a private owner

Erst aus einer gewissen Entfernung wird der Bildgegenstand
klarer und sind die konzentriert über ein Buch oder ein Spiel geneigten Köpfe auszumachen. Das Motiv ist allein aus der Farbe heraus entwickelt. Kurvig geführte Pinselstriche in einer intensiven Farbigkeit formen die Details genauso wie die Komposition selbst und überlagern sich dabei wieder und wieder.

Das Bildthema ist eine von Schmidt-Rottluff beobachtete häusliche Szene, wie er sie auch aus der eigenen Familie mit den jüngeren Geschwistern kannte. Die hier 1906 dargestellten Kinder sind jedoch jünger als seine Geschwister und müssen demnach Modelle aus einem anderen Umfeld gewesen sein. Vermutlich waren es Kinder in Dresden, denn auch Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel malten im selben Zeitraum vergleichbare Motive.

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)

Kleiner Garten, 1906

Small Garden, 1906

Öl auf Pappe

Oil on board

Kunstsammlungen Chemnitz, Leihgabe aus Privatbesitz

Loan from a private owner

Gelbe, grüne, blaue, weiße, rosa und wenige rote Pinselstriche summieren sich zu einem Blick in einen Garten. Es ist eine ungewöhnlich mutige Komposition des jungen Schmidt-Rottluff. Als ob man sich gerade von der im Vordergrund rechts nur angeschnitten zu sehenden Gartenbank erhoben hätte, blickt man über ein in die Tiefe des Gartens führendes Wegstück in die üppige Vegetation. Die Vegetation ist nicht in einer erkennbaren Form dargestellt, sondern entsteht ausschließlich aus den sich miteinander verflechtenden farbigen Pinselstrichen. Keine Umrisslinien trennen die Pflanzen voneinander. Der pastose Farbauftrag ist typisch für Schmidt-Rottluffs Gemälde, die 1906 bei Emil Nolde auf der Ostseeinsel Alsen entstanden.

Auch Emil Nolde malte in dieser Zeit seine ersten Blumen- und Gartenbilder – ein Beleg dafür, wie stark sich beide Künstler in diesen Wochen zumindest thematisch beeinflussten.

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)

Besuch, 1910

Visit, 1910

Kunstsammlungen Chemnitz, Dauerleihgabe des Freistaates Sachsen

Permanent Loan of the Free State of Saxony

Das Bild gehört zu den frühen Interieurdarstellungen des Künstlers. Zu sehen sind zwei sitzende Frauen, die nicht als Individuen gezeichnet werden, auch wenn sie aus dem persönlichen Umfeld stammen. Das belegt eine ähnliche Zeichnung auf einer Postkarte aus Dangast. Daher handelt es sich bei der Dargestellten wohl um die jüngere Schwester Gertrud. Das jüngere Mädchen könnte die damals fünfzehnjährige Ferienbekanntschaft Elle Kohlsted (aus Berlin) sein.

Von besonderer Bedeutung ist der Schmuckrahmen des Bildes. Für die bis 1912 in Dangast entstandenen Werke fügte der ortsansässige Tischler Wilhelm Voge die Rahmenleisten. Schmidt-
Rottluff selbst schnitt das abstrakte Dekor und nahm die Farbfassung vor.

Alexej von Jawlensky (1864–1941)

Das gelbe Haus, 1908/1909

The yellow house, 1908/1909

Öl auf Malkarton

Oil on painting board

Privatsammlung, Leihgabe an die Kunstsammlungen Chemnitz

Private Collection, Loan at the Kunstsammlungen Chemnitz

Die Auseinandersetzung mit der französischen Moderne auf der einen Seite und die Sommeraufenthalte im bayerischen Voralpenland auf der anderen Seite waren besonders prägend für
Jawlenskys künstlerisches Schaffen. Das gelbe Haus entstand sehr wahrscheinlich kurze Zeit nach Jawlenskys erstem Aufenthalt in Murnau im Jahr 1908. Zu sehen ist das Hotel Villa Steiger, in dem seinerzeit viele bedeutende Kunst- und Kulturschaffende abstiegen. Jawlensky legte zunächst mit Pinsel und blauer Farbe das Motiv als Konturzeichnung auf dem Karton an. Anschließend machte er sich an dessen farbliche Gestaltung. Auffällig ist, dass die Farben als Flächen zusammengefasst sind und zunehmend kontrastierend angelegt sind. So wird malerisch eine Spannung erzeugt, die durch die dynamisch anmutende Bildkomposition verstärkt wird.

Alexej von Jawlensky (1864–1941)

Murnau – Das Tal, 1909

Murnau – The Valley, 1909

Öl auf Holzpappe

Oil on thin wood

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Rot, Blau, Gelb – die Grundfarben bestimmen das Murnauer Landschaftsbild des russischen Malers Alexej von Jawlensky.
Jawlensky war bereits Ende des 19. Jahrhunderts gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der Malerin Marianne von Werefkin, nach München gekommen und lernte dort Wassily Kandinsky kennen. Nachdem Kandinsky und Gabriele Münter 1908 Murnau als Malort entdeckt hatten, begann dort eine künstlerisch sehr fruchtbare gemeinsamen Schaffensphase der vier Künstler:innen. Sie war ein wichtiger Entwicklungsschritt hin zur Gründung des »Blauen
Reiters« in München.

Jawlensky fertigte ab 1908 eine ganze Reihe farbintensiver Bilder der Murnauer Landschaft an. Dieses Werk zeigt den Blick von Murnau in das ausgestreckte Tal vor den bayerischen Bergen.

Alexej von Jawlensky (1864–1941)

Rotes Stillleben mit violettem Krug, 1910

Red Still-Life with Violet Jug, 1910

Öl auf Malkarton

Oil on cardboard

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Das mit groben Pinselstrichen auf Malkarton gemalte Bild Rotes Stillleben mit violettem Krug aus dem Jahr 1910 zeigt einen auf einem kleinen Tisch platzierten Blumenstrauß in einem Krug. Der flächige Bildaufbau und die verwendeten Farben verweisen auf
Jawlenskys künstlerische Auseinandersetzungen mit zeitgenössischer französischer Kunst.

Oben rechts ist das Gemälde in Kyrillisch mit »A. Jawlensky« signiert. Die Signatur könnte, so wie es bei weiteren Werken der Fall war, auf eine durch Kandinsky vermittelte Ausstellungsbeteiligung in Russland hinweisen. Interessant ist, dass sich auf der Rückseite des Bildträgers ein Männerporträt befindet. Das Porträt stammt allerdings nicht von Jawlensky, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach von seinem Künstlerfreund Heinrich Ehmsen.

Alexej von Jawlensky (1864–1941)

Messalina, 1912

Öl auf Pappe

Oil on board

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Im Jahr 1912 konzentrierte sich Jawlensky auf die Weiterentwicklung seiner formalen künstlerischen Gestaltungsweise. Dabei wurde das menschliche Gesicht neben Landschaften eines seiner Hauptmotive. Er setzte sich allerdings nicht im Sinne eines naturalistischen Abbildes mit Personen auseinander. Vielmehr war der Künstler darum bemüht, hinter das menschliche Wesen zu schauen, dessen Innenleben zu erforschen und mit den Mitteln der Kunst auszudrücken. Die historische Figur Messalina war Gemahlin des römischen Kaisers Claudius und berüchtigt für ihr ausschweifendes, lasterhaftes Leben sowie für ihre Skrupellosigkeit. Um diese Charakterzüge geht es Jawlensky in seinem gleichnamigen Bild, das von starken Kontrasten der Grundfarben bestimmt wird. Die Gesichtszüge sind von weichen, sinnlich fließenden Linien bestimmt.

Alexej von Jawlensky (1864–1941)

Berggipfel, 1912

Mountain Peak, 1912

Öl auf Karton

Oil on cardboard

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Jawlensky, den eine enge Freundschaft mit Wassily Kandinsky und Gabriele Münter verband, hatte seine Freund:innen bereits in den Jahren 1908 und 1910 in Murnau besucht und dabei mehrere Landschaftsbilder geschaffen. Im Sommer 1912 reiste Jawlensky erneut ins Allgäu und blieb bis zum Ende des Jahres in Oberstdorf. Dort malte er weitere farbenstarke Landschaftsgemälde, wie das auf das Jahr 1912 datierte mit Öl auf Karton gemalte Bild Berggipfel belegt. Vor einem dunkelgrauen Himmel ist ein dreieckiger Berggipfel zu sehen, dessen Spitze den oberen Bildrand berührt. Die herausgehobene Stellung des verschiedenfarbigen Gipfels wird durch den dunkelgrünen sowie schwarzgrauen Hintergrund verstärkt. Auch wenn Jawlensky kein Mitglied der Redaktionsgemeinschaft »Blauer Reiter« war, beteiligte er sich an deren Kunstausstellungen.

August Macke (1887–1914)

Fingerhüte im Garten, 1912

Foxgloves in the garden, 1912

Öl auf Pappe

Oil on board

Privatsammlung, Leihgabe an die Kunstsammlungen Chemnitz

Private Collection, Loan at the Kunstsammlungen Chemnitz

Eine Inspirationsquelle für August Mackes sinnlich-expressive Malweise war das harmonische Zusammenleben mit seiner Familie, und dazu gehörte stets auch ein eigenes Gartenreich. Einzelne Motive aus diesem von der Außenwelt abgeschirmten Bereich lassen sich immer wieder in seinem Œuvre finden.

Genau in der Mitte des Bildes ragt ein besonders majestätischer Fingerhut auf. Der Schauplatz ist in starker Nahsicht angelegt, eine Horizontlinie wird bewusst vermieden. Die Pflanze erstreckt sich fast monumental über das ganze Bild. Seine Überführung in eckige, spitz- und stumpfwinklige Formgebilde ist das hervorstechendste Merkmal dieses Bildes.

August Macke (1887–1914)

Porträtkopf der Frau des Künstlers, 1912

Portrait Head of the Artist’s Wife, 1912

Privatsammlung, Leihgabe an die Kunstsammlungen Chemnitz

Private Collection, Loan at the Kunstsammlungen Chemnitz

August Macke schuf das Porträt seiner Frau Elisabeth in Bonn, wo die Familie von 1911 bis 1913 lebte. Sie war die Nichte des Industriellen und Kunstförderers Bernhard Koehler. Das Paar hatte sich bereits in der Schule kennengelernt und 1909 geheiratet.

Die Industriellentochter war nicht nur die Mutter seiner zwei Söhne, sondern auch eine wichtige Gesprächspartnerin auf intellektueller Ebene und mit über 200 Darstellungen eines seiner häufigsten Motive. Nach seinem frühen Tod trug sie unter anderem durch Schenkungen und Erinnerungen maßgeblich zum Erfolg
August Mackes bei.

August Macke (1887–1914)

Clown (karikiertes Selbstbildnis), 1913

Clown (caricatured Self-Portrait), 1913

Öl auf Karton

Oil on cardboard

Privatsammlung, Leihgabe an die Kunstsammlungen Chemnitz

Private Collection, Loan at the Kunstsammlungen Chemnitz

Der ernste und leicht skeptische, dabei wie zur Maske erstarrte Ausdruck steht im Widerspruch zu den äußeren Attributen Narrenkappe, Halskrause und Flickenkaro-Kostüm. Macke scheint damit die beiden bekanntesten Vorgänger des Clowns, Harlekin und Pierrot, in sich zu vereinen. Sie entstammen der Commedia dell’Arte, die bereits Ende des 19. Jahrhunderts von Avantgardekünstlern wie Pablo Picasso wiederentdeckt wurde. Während der Harlekin den agilen Publikumsliebling gibt, Lügen entlarvt und nicht selten die gesamte Handlung lenkt, gilt der Pierrot als naiv und melancholisch. Beide Typen waren Macke auch aus den
Ballets Russes bekannt, die er 1907 in Paris und bei einem Gastspiel 1912 in Köln erlebt hatte und von denen er einige Skizzen und Gemälde anfertigte.

Gabriele Münter (1877–1962)

Landschaft mit Hütte im Abendrot, 1908

Landscape with Hut at Sunset, 1908

Öl auf Papier auf Karton

Oil on paper on cardboard

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Ende des Jahres 1908 lassen sich Gabriele Münter und Wassily Kandinsky im Münchner Stadtteil Schwabing nieder. Zuvor hatten sie im Spätsommer die bayerische Alpenlandschaft bei Murnau für sich entdeckt. Die beeindruckende Natur und die von Münter wahrgenommene Klarheit und Leuchtkraft der Farben inspirierten sie zu zahlreichen Landschaftsdarstellungen. Dabei veranschaulichen Münters Arbeiten den einsetzenden künstlerischen Vereinfachungs- und Abstraktionsprozess.

Das mit Öl auf Pappe gemalte Bild Landschaft mit Hütte im Abendrot zeigt vereinfacht dargestellte Motive. Die Farben sind zu Flächen teils ungebrochener Töne zusammengefasst. So beginnen die Flächen das Motiv an sich zu konstituieren.

Gabriele Münter (1877–1962)

Äpfel auf Blau, 1908

Apples on Blue, 1908

Öl auf Malpappe

Oil on painting board

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Ausgehend von den prägenden Natureindrücken der bayerischen Alpenlandschaft schuf Münter im Spätsommer 1908 das Stillleben Äpfel auf Blau. Auf dem Stillleben hat die Künstlerin die Perspektive aufgegeben, indem sie das Motiv zweidimensional in der Fläche anlegte. Eine grüne Wand und ein blaues Tischtuch treffen als Flächen aufeinander. Auf der nach unten klappenden Tischplatte befinden sich eine Flasche, ein Krug und drei Äpfel. Während Münter die beiden Gefäße ohne jeden Schattenwurf drapiert hat, finden sich bei den noch am weitesten durchgeformten Äpfeln Andeutungen eines Schattens durch den dunkleren Pinselstrich. Die Bildkomposition und die expressive Farbigkeit veranschaulichen den künstlerischen Vereinfachungs- und Abstraktionsprozess.

Gabriele Münter (1877–1962)

Kandinsky am Tisch (Skizze), um 1911

Kandinsky at a Table (sketch), around 1911

Öl auf Karton

Oil on painting board

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Neben Stillleben und Landschaften sind es immer wieder auch Darstellungen von Personen ihres Bekanntenkreises, die Gabriele Münter zum Malen anregten. So entstanden verschiedene Skizzen, die teils im Zusammenhang mit nachfolgenden Gemälden stehen, teils aber auch als Bildnisstudien in ihrer Spontaneität und Flüchtigkeit eine künstlerische Eigenständigkeit beanspruchen. Hierzu gehört Kandinsky am Tisch. Die legere Kleidung des Malers mit weißem Hemd und blauem Rock sowie die Situation an einem Tisch mit Teekanne und Tasse lassen an eine morgendliche Szene denken. Flüchtig legt Münter mit Pinsel und stark verdünnter Farbe das Motiv direkt auf der Malpappe in zeichnerisch-malerischer Abfolge fest. So zeigt die Skizze, wohl entstanden in ihrem gemeinsamen Haus in Murnau, einen intimen Einblick in das Zusammenleben des Künstlerpaares.

Gabriele Münter (1877–1962)

Stillleben mit Madonna und Teekanne,

1912/1913

Still-Life with a Madonna and a Tea Pot, 1912/1913

Öl auf Malpappe

Oil on painting-board

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Auf einem Holztisch sind diverse Objekte gruppiert: Eine orangene Teekanne auf einem Tablett, ein braunes Huhn aus Ton und zwei Madonnen. Im Hintergrund an der blauen Wand hängen zudem zwei gerahmte Bilder. Letztere gehörten zu Münters Sammlung von Hinterglasmalereien, die Objekte auf dem Tisch zu ihrer Volkskunstsammlung. Münter hatte sich – wie Kandinsky und auch Werefkin – besonders für Volkskunst interessiert und eine umfangreiche Sammlung zusammengetragen. Sie erlernte als erste der Gruppe auch selber die Technik der Hinterglasmalerei.

Das Huhn ebenso wie die Madonna mit Patriarchenkreuz finden sich überdies auch in anderen Gemälden Münters wieder. Die Malerin hat ihre Volkskunstsammlung immer wieder als Vorlage für ihre Bilder arrangiert.

Gabriele Münter (1877–1962)

Lied, um 1912/1913

Song, around 1912/1913

Hinterglasmalerei

Reverse glass painting

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Murnau war ein wichtiger Produktionsort der bayerischen Hinterglasmalerei. In diesem Zusammenhang setzten sich die
Künstler:innen des »Blauen Reiters« mit den volkstümlichen, klar erfassbaren Darstellungen von Heiligen und Votivbildern auseinander. Auch Gabriele Münter kopierte die kleinen Tafeln und eignete sich so schnell eine neue Formensprache an. Anschließend begann sie nach eigenen Entwürfen zu arbeiten.

Das Lied zeigt ein kleines Mädchen mit gefalteten Händen. Mit erhobenem Kopf scheint das Mädchen erstaunt und fasziniert mehrere über ihr fliegende Vögel zu beobachten. Vor dem Hintergrund der christlichen Tradition der Hinterglasmalerei erinnert das Bild an die Legende der Vogelpredigt aus dem Lebens des Heiligen Franziskus.

August Macke (1887–1914)

Spaziergänger mit Stadt (Figuren in Berglandschaft), 1913

Ramblers with City (Figures in a Mountain Landscape), 1913

Aquarell über Bleistift

Watercolour over lead pencil

Privatsammlung, Leihgabe an die Kunstsammlungen Chemnitz

Private Collection, Loan at the Kunstsammlungen Chemnitz

Vielfach verwendete Macke das Motiv des Spaziergängers im städtischen Lebensraum, dass er bereits auf seinen verschiedenen Paris-Reisen in den Jahren 1907 bis 1912 in Skizzen und Federzeichnungen festgehalten hatte, und setzte es in sorgfältig komponierte Szenen um.

Einen besonders schönen Beleg dafür stellt das Aquarell Spaziergänger mit Stadt von 1913 dar. Präsentiert wird eine sonntägliche Szene, bei der mehrere Personen auf einer Ausflugsterrasse verweilen. Die in Rückenansicht gezeigten Menschen fungieren dabei auch als Identifikationsfiguren für den Betrachter. Die auffälligen Kopfbedeckungen der Passanten finden ihr Pendant in den Dächern der Häuser und Türme.

Otto Mueller (1874–1930)

Knabe zwischen Blattpflanzen, 1912

Boy among Foliate Plants, 1912

Holzschnitt auf braunem Papier

Woodcut on brownish paper

Kunstsammlungen Chemnitz

Mueller arbeitete in seinem grafischen Werk hauptsächlich in der Technik der Lithografie, des Steindrucks. Die wenigen Holzschnitte sind durch den Kontakt zur »Brücke« entstanden, bei der diese Drucktechnik eine große Bedeutung hatte. Den Drucken ist eine lyrische Stimmung eigen, die zarten Körper werden fast nur durch die weißen Konturen bestimmt.

Die Darstellungen des Knaben und des Mädchens, beide nackt im Schilf sitzend, gehören erkennbar zusammen. Die Holzstöcke zu diesen Blättern hat der Künstler später an seinem Grafikschrank als Türfüllungen eingesetzt. An den Rändern des Druckes mit der Abbildung des Knaben sind noch die Spuren der Kerben, mit dem der Stock befestigt waren, zu sehen. Das andere Blatt wurde nachträglich mit der Hand koloriert.

Max Pechstein (1881–1955)

Vier Blätter aus der Mappe:
Exotische Köpfe, 1917

Four Pages from the Portfolio:
Exotic Heads, 1917

Holzschnitt auf grünlichem Bütten

Woodcut on greenish laid paper

Kunstsammlungen Chemnitz

Die vier Holzschnitte aus der 1919 bei Fritz Gurlitt erschienenen Mappe Exotische Köpfe zeigen das Interesse des Künstlers an außereuropäischen Kulturen. In den Darstellungen verbindet er Elemente afrikanischer, ozeanischer und präkolumbianischer Kunst. Hier steht jedoch nicht eine präzise ethnografische Beschreibung oder etwa die Individualität der Porträtierten, sondern eine Exotisierung der außereuropäischen Kulturen im Vordergrund. Besonderen Wert legt Pechstein neben den stilisierten Physiognomien auf dekorative Formen, wie aufwendige Frisuren, Kopfschmuck und Ornamentik. Neben seinen eigenen Studien aus Palau, wohin er 1914 reiste, und völkerkundlichen Museen verwendete er auch Abbildungen aus Publikationen als Vorlagen.

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)

Schiffe (Segler auf der Elbe bei Hamburg I), 1911

Ships (Sailing Boats on the Elbe near

Hamburg I), 1911

Holzschnitt

Woodcut

Kunstsammlungen Chemnitz

Der von Schmidt-Rottluff mit Schiffe betitelte Holzschnitt geht auf einen Aufenthalt in Hamburg zurück, wo der Künstler für einige Monate ein eigenes kleines Atelier besaß.

Das Werk gehört zu den 1911 geschaffenen Arbeiten, die durch eine konsequente Reduzierung der Form und geometrische Ordnung der Flächen gekennzeichnet sind. Gegeneinander gestellte schwarze und weiße Flächen bestimmen das Landschaftsbild: drei dunkle Segelschiffe auf der ruhigen weißen Wasserfläche, die vom Dunkel einer diagonal abfallenden Uferböschung begrenzt wird. Wieder als helle dreieckige Fläche schließt sich der Himmel an, während eine Sonnenscheibe vertikale Streifen über den Fluss wirft. Im grafischen Schaffen des Künstlers bilden die großformatigen Holzschnitte dieser Periode mit ihrem Streben nach einer ausdrucksvollen einfachen Form zweifellos einen Höhepunkt.

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)

Selbstbildnis, 1908

Self-Portrait, 1908

Radierung

Etching

Kunstsammlungen Chemnitz

Radierplatte zu: Selbstbildnis, 1908

Etching plate for: Self-Portrait, 1908

Metall

Metal

Kunstsammlungen Chemnitz, Leihgabe aus Privatbesitz

Loan from a private owner

Selbstbildnisse besitzen in Schmidt-Rottluffs Werk in allen Werkphasen und künstlerischen Techniken eine zentrale Bedeutung. Neben einigen Lithografien gehört diese Radierung zu den ganz frühen künstlerischen Selbstbefragungen. Auf dem Selbstbildnis von 1908 war der Künstler 26 Jahre alt, er wirkt hier deutlich älter. Der Kopf wird vom oberen Rand der Platte beschnitten, Hals- und Schulteransatz fehlen, so dass die Konzentration auf der Physiognomie liegt. Zarte Strichlagen bilden den atmosphärischen Hintergrund. Tiefer geätzte Striche betonen die Augenpartie. Besonders die Pupillen der Augen und die Stirnfalten unterstreichen den ernsten, nachdenklichen Gesichtsausdruck. Das Porträt ist am Plattenrand mit eng gesetzten Strichen gerahmt. Die abgeschrägten Ecken der Platte verstärken den Eindruck eines Rahmens. Die Kunstsammlungen Chemnitz besitzen neben der Radierung auch die zugehörige Platte, von der das Blatt gezogen wurde.

Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976)

Akt, 1909

Nude, 1909

Holzschnitt auf grauem Papier

Woodcut on grey paper

Druckstock zu: Akt, 1909

Printing block for: Nude, 1909

Lindenholz

Lime wood

Kunstsammlungen Chemnitz

Dieser Frauenakt besitzt eine ausgesprochen malerische Wirkung. Besonders eindrucksvoll ist das Muster der überhängenden Decke, die durch den fließenden Übergang von druckenden und nicht druckenden Flächen nahezu textilen Charakter annimmt.

Deutlich macht sich der Einfluss von Edvard Munch bemerkbar. Bereits 1906 hatten die Maler der »Brücke« erstmalig die Gelegenheit, Gemälde des Norwegers im Dresden zu sehen. Von entscheidender Bedeutung war die Begegnung mit Munchs Druckgrafiken, die Schmidt-Rottluff 1907 in der Hamburger Sammlung des Landgerichtsdirektors Gustav Schiefler studieren konnte und deren Formensprache und Ausdruck er außerordentlich schätzte.

Alexej von Jawlensky (1864–1941)

Stehende mit Hand an der Hüfte, 1912

Standing Nude with Hand on the Hip, 1912

Bleistift auf Bütten

Pencil on handmade paper

KUNSTSAMMLUNGEN CHEMNITZ – MUSEUM GUNZENHAUSER,
EIGENTUM DER STIFTUNG GUNZENHAUSER, CHEMNITZ

Property of the Gunzenhauser Foundation

Die Bleistiftzeichnung auf Bütten zeigt eine im Dreiviertelprofil dargestellte, stehende nackte Frau. Während sie ihren rechten Arm an der Hüfte angewinkelt hat, ist der linke Arm hinter dem Rücken nur schemenhaft zu erkennen. Das Haar ist unter einer Kopfbedeckung verborgen. Mit aufrechtem Blick scheint sie aus dem rechten Bildrand hinauszublicken.

Im Jahr 1912 zeichnete Jawlensky zahlreiche weibliche Aktdarstellungen. Gleichwohl ist die vorliegende Zeichnung der stehenden Frau eine Besonderheit, da Jawlensky vorrangig sitzende oder liegende Figuren gezeichnet hatte. Charakteristisch für diese Schaffenszeit sind die nicht vollständig gezeichneten Beine und Füße, die sich bei weiteren Bildern Jawlenskys finden lassen.

Paul Klee (1879–1940)

Blick aus dem Atelierfenster, 1909

View from the Studio Window, 1909

Kreide, Aquarell

Chalk, watercolour

Von der Heydt-Museum Wuppertal

Paul Klee studierte von 1900 bis 1901 in München in der Akademieklasse von Franz von Stuck. 1906 siedelte er mit seiner Frau endgültig von Bern nach München über. Zu dem dort entstandenen künstlerischen Frühwerk gehören ausschließlich Werke in grafischen Techniken. Klee lernte Wassily Kandinsky 1911 in Schwabing kennen und beteiligte sich ein Jahr später an der zweiten Ausstellung des »Blauen Reiters«.

Die Zeichnung zeigt den Blick aus dem Atelier in der Feilitzschstraße in München über verschneite Gärten auf eine Häuserzeile mit unregelmäßigen und unterschiedlich hohen Hausdächern. Erste Gemälde entstanden erst in Zusammenhang mit seiner
Tunisreise im April 1914, die er mit August Macke und Louis
Moilliet unternahm.

Jahresmappen der »Brücke«

Von 1906 bis 1911 gab die Künstlergruppe »Brücke« für ihre passiven Mitglieder Jahresgaben mit originalgrafischer Kunst heraus. Die passiven Mitglieder förderten die Künstler und unterstützten sie auch ideell. Die Jahresmappen waren nicht nur Gegenleistung für den Mitgliedsbeitrag, sondern dienten auch der Verbreitung ihrer Kunst und der Heranführung des Publikums daran.

Es wurden insgesamt sieben Mappen gestaltet, wobei die letzte, Pechstein gewidmete Mappe zurückgezogen wurde, da dieser die Gruppe im Frühjahr 1912 verließ. In jeder Mappe befinden sich drei bis vier Grafiken, teilweise ergänzt durch in Holz geschnittene Umschläge. Bei den Holzschnitten und Lithografien handelt es sich um Handdrucke, oft wurden sie direkt für die Edition entworfen.

Während die ersten drei Mappen Werke verschiedener Künstler enthalten, steht in den Mappen ab 1909 jeweils ein Künstler im Mittelpunkt.

Die Zeitschrift Der Sturm
und die Sturm-Galerie

Der Verleger, Galerist, Schriftsteller und Musiker Herwarth Walden war einer der wichtigsten Förderer der Avantgarden in Deutschland. Er gründete 1910 unter dem Titel Der Sturm eine zunächst als Wochenschrift für Kultur und Künste konzipierte Zeitschrift, die bis 1932 bestand und eine der wichtigsten Publikationen der Kunst und Literatur des Expressionismus war. In der Ausstellung sind beispielhaft zwei Titelbilder der Zeitschrift mit Reproduktionen von Werken der »Blauer Reiter«-Künstler Klee und Kandinsky vertreten.

1912 eröffnete Walden eine gleichnamige Galerie in Berlin, in der Vertreter verschiedener Strömungen der internationalen Avantgarde zum Teil zum ersten Mal ausgestellt wurden. Zu sehen waren unter anderem Vertreter des »Blauen Reiter«, der französischen Fauvisten und des italienischen Futurismus. Den »Blauer Reiter«-Künstler:innen Kandinsky, Münter, Marc und Macke widmete Walden in seiner Galerie Einzelausstellungen.