Museum Gunzenhauser
Sammlungspräsentation

Expressionismus in Deutschland

Paula Modersohn-Becker (1876–1907), Mädchen an Birkenstamm gelehnt vor Landschaft, um 1902, Öl auf Papier auf Leinwand, 71,3 x 48,5 cm, Kunstsammlungen Chemnitz – Museum Gunzenhauser, Eigentum der Stiftung Gunzenhauser, Chemnitz, Foto: Kunstsammlungen Chemnitz/László Tóth

Expressionismus in Deutschland

Ein Schwerpunkt in der Sammlung Alfred Gunzenhausers bilden Werke der deutschen Expressionist:innen. Der Ausstellungsrundgang beginnt mit Arbeiten von Paula ModersohnBecker, eine der bedeutendsten Vertreter:innen des frühen Expressionismus. In Worpswede malt sie vorrangig bäuerliche Szenen, nicht romantisch, aber auch nicht anklagend. Sie mag die
einfachen Menschen und ist an Form, Fläche und Konstruktion interessiert. Entscheidend für ihre Entwicklung sind ihre wiederholten Aufenthalte in Frankreich, wo sich auch Gabriele Münter und
Oskar Moll zeitweise aufhalten, sich mit den aktuellen Kunstströmungen der Avantgarde auseinandersetzen oder private Malschulen besuchen. Innerhalb Frankreichs vollzieht sich mit
den Malern von Barbizon und den Impressionisten bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine erste Abwendung vom offiziellen akademischen Kunstbetrieb.

In Deutschland entscheiden sich 1905 vier Architekturstudenten zur Gründung der Künstlergruppe Brücke. Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, und Karl Schmidt-Rottluff kommen aus Chemnitz, wo die letzteren beiden sich schon als Schüler zur Gruppe Vulkan zusammentun und gemeinsam malen, dichten und musizieren. Die jungen Künstler entwickeln in Dresden ein Selbstverständnis als Gruppe mit gemeinsamen Absichten, die Kirchner 1906 in einem in Holz geschnitten Programm zusammenfasst: »Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.« Dieser kurze, unverbindliche Text bleibt die einzige theoretische Erklärung der Brücke. Statt nach intellektueller Vertiefung des Gestaltungsaktes, streben die Künstler vielmehr nach einer praktischen Vermittlung von Freiheit und Aufbruch.

Dem gegenüber steht die Künstlergruppe Blauer Reiter, die in mancher Hinsicht den Gegenpolzur Brücke bildet. Der Name verdankt sich einem Buch, dem Almanach »Der Blaue Reiter«,
herausgegeben von Wassily Kandinsky und Franz Marc. In seinen Abbildungen spiegelt er die avantgardistische Kunstproduktion in Europa so gut wie komplett wider. Auch die BrückeKünstler finden Berücksichtigung. In suggestiven Vergleichen werden ausgewählte mittelalterliche und frühneuzeitliche Werke sowie Beispiele der Volkskunst, afrikanische, ozeanische und fernöstliche Artefakte gegenübergestellt. Nur zwei Ausstellungen finden unter dem Titel »Der Blaue Reiter« statt, beide in München. Hier nehmen auch weitere Künstler teil wie August Macke, Wilhelm Morgner oder Heinrich Campendonk. Im Zentrum von Alfred Gunzenhausers Sammelleidenschaft stehen jedoch vorrangig Werke von Gabriele Münter und Alexej von Jawlensky. Besonders in den Landschaften von Murnau, wo sie eine äußerst anregende und produktive Zeit verbringen, lässt sich die künstlerische Nähe der beiden nachvollziehen. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und der dadurch bedingten Trennung der befreundeten Künstler:innen findet die Vereinigung ein frühes Ende. Die Ideen und Konzepte des Blauen Reiter wirken jedoch weiter und prägen später wesentlich die Entwicklung von Bauhaus und der abstrakten Malerei.