Vitrinentexte Pierre Soulages und Deutschland

Große Ausstellung französischer abstrakter Malerei (1948-49)

Diese Wanderausstellung war zwischen November 1948 und Juli 1949 in sieben deutschen Städten zu sehen. Soulages war der jüngste Teilnehmer, der neben etablierten Künstlern wie Bott, Del Marle, Domela, Hartung, Herbin, Kupka, Piaubert, Schneider und Villeri ausgestellt wurde. Die Schau gründete auf der Initiative des Kunstliebhabers und Nervenarztes Dr. Ottomar Domnick, lange bevor es offizielle Kulturaustauschprogramme zwischen den Ländern gab. Die Ausstellung wurde zonenübergreifend in Stuttgart, München, Düsseldorf, Hannover, Frankfurt, Kassel und Wuppertal gezeigt. Von Soulages waren fünf Gemälde auf Leinwand, acht Papierarbeiten und sieben Nussbeizenbilder aus den Jahren 1946-1948 ausgestellt. Die Sichtbarkeit des jungen Malers wurde noch dadurch verstärkt, dass das Plakat dieser Ausstellung anhand eines seiner Nussbeizenbilder von 1947 gestaltet wurde. Ein sehr markantes Blatt, das in hoher Auflage gedruckt und in den deutschen Städten, die teils noch in Ruinen lagen, plakatiert wurde. Es gibt davon zwei Fassungen: eine positive, schwarz auf weiß und eine negative, weiß auf schwarz. Diese Wanderausstellung war sowohl ein wichtiger Motor für den Neuanfang der Abstraktion im Nachkriegsdeutschland, als auch der entscheidende Auslöser für Pierre Soulages‘ internationale Künstlerkarriere.

 

Ein ästhetisches Credo (1948)

In einem Brief an den Veranstalter im Oktober 1948, brachte Pierre Soulages für diese Wanderausstellung in Deutschland, im Alter von 28 Jahren, zwei grundlegende Gedanken zu Papier. Er hält fest, dass seine Bilder keine Titel tragen, sondern die Bezeichnungen lediglich Angaben über das verwendete Material, die Größe und das Entstehungsdatum geben. Pierre Soulages schreibt zudem, dass ein Gemälde für ihn „[…] eine organisierte Einheit [sei], ein Ensemble von Verbindungen zwischen Formen (Linien, gemalten Oberflächen …) auf das sich die Bedeutungen, die man ihm verleihen mag, legen oder wieder ablösen.“ Diese Formulierung kristallisierte sich später als eine Art „ästhetisches Credo“ heraus und erscheint wie die Vorwegnahme der Gedanken des italienischen Literaturkritikers Umberto Eco, die 1962 in seinem Buch Das offene Kunstwerk veröffentlichtet wurden. In der theoretischen Schrift schreibt der Sprachforscher jedem Kunstwerk, trotz einer klar definierbaren Erscheinung, nahezu unendliche Lesarten zu. Diese fortschrittlichen Gedanken zur Kunstrezeption und einer neuen Bedeutung des Betrachters sind bereits in dem Statement von Soulages aus dem Herbst 1948 enthalten.

 

Medienecho (1948/49)

Die Wanderausstellung Französische abstrakte Malerei war mit eine der ersten Ausstellungen abstrakter Kunst in einem besetzten und noch weitgehend vom Zweiten Weltkrieg zerstörten Land. Da die Nazidiktatur individuelles und nichtfigürliches Schaffen zwölf Jahre lang geächtet, verbannt und untersagt hatte, war es 1948 noch weitaus kein selbstverständliches Unterfangen städteübergreifend abstrakte Malerei zu zeigen. Es gab in der Presse eine lebendige Diskussion, doch zahlreiche Medien berichteten positiv. Pierre Soulages, jüngster Teilnehmer dieser Wanderausstellung, wurde oft explizit erwähnt. Die Journalistin Marietta Schmidt beschreibt in ihrem Beitrag in der Weltkunst, Soulages als den vielversprechendsten Künstler der Ausstellung und lobt die ernste, erhabene, religiöse Strahlkraft seiner Bilder. Nur ein Largo von Bach könne in ihr ein vergleichbares Gefühl hervorrufen. Ein Artikel im Rhein-Echo verweist „[…] dankbar [… auf die …] elementare Bilderwelt […]“ des jungen Pierre Soulages. Die Malereien des Franzosen werden in der Abendpost Hannover als „[…] traumhafte Erinnerungen an Farbklänge von liturgisch-sakraler Feierlichkeit […] beschrieben.“ In der Rhein-Ruhr Zeitung wurde hervorgehoben, dass diese Veranstaltung zweifelsfrei dem deutschen Kunstgeschehen neue Anregungen geben würde.

 

DOCUMENTA (1955, 1959, 1964)

Pierre Soulages nimmt an den ersten drei Ausgaben der documenta in Kassel teil: 1955, 1959 und 1964. Diese Manifestation internationaler Strahlkraft sollte einem deutschen Publikum ermöglichen, sich wieder mit der modernen und zeitgenössischen Kunst aus den verschiedenen Ländern zu versöhnen, die allzu lange durch das Naziregime verboten war.

Soulages, der es 1948 noch nicht möglich war, anlässlich der Wanderausstellung nach Deutschland zu reisen, ergriff 1955 die Gelegenheit, um sich die 1.documenta in Kassel anzusehen. Insbesondere die rudimentäre Inszenierung und die teils noch stark vom Krieg verwüstete Stadt sind ihm in starker Erinnerung geblieben.

Der Kunsthistoriker Werner Schmalenbach erinnert sich an die 2. documenta: „Niemand, der im Sommer 1959 die Kasseler documenta besuchte, konnte die Bilder von Pierre Soulages übersehen, die im großen Hauptsaal, gegenüber der Eingangstür hingen.“

 

Die erste museale Ausstellung von Soulages in Deutschland (1960)

Werner Schmalenbach, der auch Beiratsmitglied der 2. documenta war, organisierte 1960 die erste museale Ausstellung von Soulages. Er eröffnete die Überblicksschau in der Kestner Gesellschaft, die er damals in Hannover leitete. Es gab noch weitere Stationen der Retrospektive im Folkwang Museum in Essen, im Gemeentemuseum Den Haag und im Kunsthaus Zürich. Erst sieben Jahre später erhielt Soulages seine erste museale Ausstellung in Frankreich mit etwa der Hälfte an Ausstellungsstücken. In Hannover wurden vierzig Gemälde aus den Jahren 1946-1959 gezeigt, sechs Nussbeizenbilder von 1947-1948 und eine Gouache von 1951. Schmalenbach formulierte sein Interesse an der Kunst von Soulages später so: „[…] da packte mich die lapidare Sprache, diese Verbindung von absolutem Schwarz und Licht. Das fand ich sehr aufregend. Aber auch das nicht wirklich ‚informelle‘ Bauen des Bildes: nicht konstruktiv, aber doch sehr tektonisch.“ In einem Brief an den Künstler lobte Schmalenbach den außerordentlichen Erfolg der „sehr, sehr schönen und beeindruckenden“ Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft. Zudem hob er die positive und umfangreiche Resonanz hervor, welche die museale Überblicksschau des 40-Jährigen in der deutschen Presse erhalten hat.

 

Texte: Marie-Amélie zu Salm-Salm

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